Kühlfach vier
diesen Pamps nicht mit einem Glas Saft in die Kehle, sondern mit einer
geballten Ladung aus dem Spülkasten ins Rohr blasen |110| , aber da gehen die Geschmäcker wohl einfach ein bisschen auseinander.
»Gut. Der Bericht ist vollständig, sollen wir ihn mal durchgehen?«, sagte Martin etwas unvermittelt.
Der Herr bot mir seine Kooperation auf dem Silbertablett an? Ja, was war denn heute bloß los mit ihm? Hatte er Zuflucht zu
Drogen genommen? Geraucht, geschluckt, gespritzt? Ich beschloss, lieber nicht nachzufragen, sondern einfach mitzumachen.
»Gern, Martin. Prima.«
Ich kam mir vor wie ein Sozialpädagoge, der mit seinem Deeskalationsgesabbel auf Beleidigungen und Todesdrohungen reagiert
wie andere auf die Frage nach der Uhrzeit. Nach außen locker und freundlich, aber gekünstelt wie ein Weihnachtsbaum in Abu
Dhabi.
»Es gibt noch immer keinen Hinweis auf ihre Identität«, referierte Martin, »abgesehen von der Zahnbehandlung, die vermutlich
in den Osten Europas weist.«
»Soso«, sagte ich.
Aktives Zuhören nennt man das, wenn man zwischendurch immer »Hm« und »Aha« und »So was« murmelt. Habe ich aus dem Fernsehen,
fünf Uhr fünfundvierzig, Rhetorik für Aufgeweckte.
»Ihr gesamtgesundheitlicher Zustand war so weit in Ordnung, sie war vielleicht ein bisschen untergewichtig.«
»Aha.«
Rhetorisch einwandfrei. Meinen Einwand, dass sie sich von einer guten Gesundheit nichts mehr kaufen könne, da sie ja nun trotz
bester Verfassung leider tot sei, schluckte ich herunter, denn das hätte Martin als Provokation auffassen können. Also nur
»aha«.
|111| »Unter ihren Fingernägeln waren einige Fasern, die von einem teuren Wollteppich stammen könnten.«
»Hm.«
Bei der nächsten rhetorischen Pause würde ich auf Start zurückgehen und wieder mit »soso« beginnen müssen, aber dazu kam es
nicht.
»Insgesamt können wir sagen, dass die Frau eines natürlichen Todes starb, was aber die Person, die den Leichnam verschwinden
lassen wollte, entweder nicht erkannte oder wohl erkannte, trotzdem aber nicht den vorgeschriebenen Weg der Meldung mit Ausstellung
eines ordnungsgerechten Totenscheins gehen wollte.«
»Was schließen wir daraus?«, fragte ich vorsichtig und bediente mich dabei des Wörtchens »wir«, um Martins plötzliche Verbindlichkeit
zu untermauern und auch von meiner Seite ein deutliches Zeichen der Zusammengehörigkeit zu setzen.
»Sie wurde nicht ermordet, also gibt es keinen Mörder.«
»Was nutzt uns das?«, fragte ich, denn ich konnte Martins Gedankengang wirklich nicht nachvollziehen.
»Da es keinen Mörder gibt, der die junge Frau umgebracht hat, gibt es auch keinen Grund, dich umzubringen, denn du hast ja
keinen Mord entdeckt, als du die Frau in dem Kofferraum gesehen hast.«
Mein rhetorisches Gesabbel blieb mir im Halse stecken. Daher kam Martins gute Laune. Er hatte entdeckt, dass der, den er für
den Mörder der Frau gehalten hatte, gar kein Mörder war, und damit war die Welt wieder ein bisschen in Ordnung. Die Sache
hatte allerdings einen Haken. »Man hat mich aber umgebracht, Martin!«
Meine mühsam antrainierte Beherrschung ging den |112| Bach runter, meine Reaktion auf diese unglaublich dämliche Feststellung meines einzig möglichen irdischen Helfers orientierte
sich nicht mehr am Frühstücksfernsehen für Gutmenschen, sondern an den Actionfilmen, die ich mir zwischen zweiundzwanzig und
zwei Uhr nachts reingezogen hatte.
»Irgendjemand, ob es nun der Typ war, der die Tussi unter dem Heckdeckel verstaut hat oder irgendjemand sonst, hat mich UMGEBRACHT!
Dabei ist mir herzlich egal, ob die untergewichtige Braut an einer Nuss oder einer blauen Bohne krepiert ist.«
Martin schnappte nach Luft, aber ich war noch nicht fertig.
»Vielleicht hat der Typ, der sie im Kofferraum hatte, sie nicht umgebracht, aber wir sind uns doch wohl sicher, dass er nicht
mit der toten Eva in Verbindung gebracht werden wollte. Also wollte er sie loswerden. Also könnte es ihm sauer aufstoßen,
dass plötzlich jemand, nämlich der Dieb seines Autos weiß, dass er eine Tote im Kofferraum hatte. Also könnte er auf die Idee
kommen, diesen kleinen Dieb von der Brücke zu schubsen.«
Martin war immer blasser geworden und sah jetzt wieder so unglücklich aus wie gestern Abend.
»Aber du weißt doch gar nicht, wessen Auto du geklaut hast, oder?«
»Nein«, entgegnete ich. »Aber das weiß der andere doch nicht.«
Martin ließ sich völlig entkräftet
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