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Kühlfach vier

Titel: Kühlfach vier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Profijt
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verstehen, was ich meine. Sie war aufgequollen, verfärbt und wies eine Verletzung im Bereich des Schädels auf, die
     vermutlich von einer Axt oder einem Spalthammer stammte. Ich zitiere hier den Obduktionsbericht, der bei der nun anstehenden
     Sektion erstellt wurde, damit ich die grässliche Zombie-Fratze nicht mit meinen eigenen Worten beschreiben muss. Und auf so
     einer Leiche |116| hatte ich draufgelegen. Mich zur Ruhe gebettet. Mir wurde im ersten Moment ganz übel, obwohl das ja ohne Magen und die entsprechenden
     Nerven gar nicht mehr ging, aber am liebsten hätte ich das ganze Kühlfach vollgekotzt. Einfach so. Virtuell.
    Im nächsten Moment traf mich noch ein Schlag, nämlich ein Schlag der Erkenntnis: Meine Leiche war weg! Sie hatte in Kühlfach
     vier gelegen, seit ich von der Brücke gestoßen worden war, und nun war sie weg. Wo war ich?
    Ich raste zu Martin, überfiel ihn aus dem Dunkeln heraus und rief: »Wo ist meine Leiche?«
    Martin zuckte zusammen, sammelte seine Gedanken zusammen, die tief in einem Bericht gesteckt hatten, und murmelte abwesend:
     »Die Staatsanwaltschaft hat sie freigegeben und daraufhin ist sie von einem Bestatter abgeholt worden.«
    »Einem Bestatter?«, fragte ich, als ob ich nicht wüsste, was das ist.
    »Ja, von einem Bestatter. Zur Vorbereitung der Beerdigung.«
    Das Wort haute mich um. Beerdigung. Man würde mir meinen Körper wegnehmen. Mein Kühlfach. Mein Heim. Meine letzte bekannte
     Adresse: Rechtsmedizinisches Institut, Kühlfach vier. Ich wurde obdachlos.
    Ich war sprachlos. Martin war mit seinen Gedanken schon wieder tief in seinen Bericht eingetaucht und beachtete mich gar nicht
     weiter. So fängt’s an, dachte ich mir. Du verlierst dein Zuhause, wirst kaum noch wahrgenommen und irgendwann bist du ganz
     weg. Kein Mensch erinnert sich mehr an dich, spricht mehr mit dir. Ich verzog mich in die Teeküche, hockte mich auf die Kaffeemaschine,
     fühlte |117| mich inmitten all dieser Menschen, die kamen und gingen und Kaffee tranken, einsam und bedauerte mich selbst.
     
    Je näher der Feierabend rückte, desto nervöser wurde Martin. Zunächst schien ihn sein blödes Headset furchtbar zu quälen,
     ständig ruckelte er an diesem halben Kopfhörer herum, nahm ihn ab, massierte sich die Stelle über dem linken Ohr, wo der Bügel
     schon eine richtige Delle in den Schädel gedrückt hatte, und legte ungefähr tausend Mal pro Minute die Schnur zurecht, die
     das Headset mit dem Computer verband. Ich wollte nicht darauf herumreiten, aber wenn er den Bericht ganz normal getippt hätte,
     wäre es ihm vermutlich besser gegangen. Jedenfalls mag es durchaus sein, dass auch der nahende Einsatz als liebeskranker Supermarktkunde
     seine Nervosität steigerte. Als ich dann noch fragte, ob er denn schon das Foto konvertiert hatte, verpuffte seine Beherrschung
     wie ein angezündeter Furz.
    »Das kann ich ja schlecht tun, solange die Kollegen im System sehen können, dass ich da dran bin«, ranzte er mich an.
    »Wieso? Du kannst doch sagen, dass es für deine Sammlung geiler Weiber ist«, entgegnete ich, und er schnappte nach Luft. Wie
     ein verendender Fisch machte Martin den Mund auf und wieder zu und wurde knallrot dabei. Der Kollege gegenüber sah ihn alarmiert
     an.
    »Hast du dich verschluckt?«, fragte er.
    Martin nickte, hustete, atmete hektisch und stand schließlich auf, winkte ab, als der Kollege hilfsbereit folgen wollte, und
     ging zum Klo. Ich folgte langsam, wenn auch nicht wirklich hilfsbereit. Ich fing an, mir Sorgen zu machen |118| . Wie sollte mein liebes Gänschen Ermittlungen bei den Illegalen, den Dealern und Nutten anstellen, wenn er schon bei einem
     harmlosen, kleinen Spaß einen Atemstillstand erlitt? Würde ein ausweisloser Osteuropäer ihm eine Mund-zu-Mund-Beatmung gönnen,
     wenn ihm das mitten in der Russendisko passierte? Und würde er Martin bei dieser Gelegenheit mit einer offenen TBC anstecken?
     Über solche Sachen hatte ich in den letzten Tagen einiges gehört.
     
    Martin hatte sich wieder beruhigt, seine Gesichtsfarbe war auf das übliche Bürograu zurückgegangen und er lehnte, nachdem
     er die Gelegenheit beim Schopfe gepackt und Wasser gelassen hatte, heftig atmend an der Wand.
    »Entschuldige«, murmelte ich.
    Er nickte nur.
    »War nicht böse gemeint«, schob ich hinterher.
    »Schon klar«, quetschte er heraus. »Ich muss mich einfach daran gewöhnen, dass du weder Mitgefühl noch Benehmen kennst. Du
     behauptest zwar, ich hätte einen

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