Kühlfach zu vermieten - Profijt, J: Kühlfach zu vermieten
als ich mich seinem Arbeitsplatz
näherte und konnte mein Glück kaum fassen, als ich das schwache Leuchten des Lämpchens am Headset sah. Es war eingesteckt
und betriebsbereit.
Ich startete den Computer und wollte als Erstes meine Mails checken, aber das ging nicht. Seltsam. Das Mailprogramm ließ sich
nicht öffnen. Auch die Internetverbindung bekam ich nicht hin. Dabei war das Spracherkennungsprogramm aktiv, das konnte ich
an dem kleinen Icon in der Menüleiste erkennen. Ich probierte die Textverarbeitung und siehe da, ich konnte die Datei namens
Irina öffnen. Martin musste einen Weg gefunden haben, mir den Zugang zu den interessanten Programmen zu verwehren. Nun, immerhin
konnte ich mich noch mal an ein paar Gedichten versuchen. Ich sammelte meine Gedanken und Gefühle und textete.
Der schönste Schwan der ganzen Welt
und unterm ganzen Himmelszelt
ist Irina, so weiß und rein,
du sollst für immer bei mir sein.
Was ich auch tu, wo ich auch bin,
bist du bei mir, du Königin.
Du Zarin aus dem fernen Land,
Irina, reich mir deine Hand.
Ich will dich ganz für mich allein,
ich sterbe nie, bin immer dein.
Du bist mein Glück auf dieser Welt,
die Einzige, die für mich zählt.
Und wenn dein Tag des Todes naht,
bin ich bei dir, steh ich am Start
und fange deine Seele ein.
Wir werden unzertrennlich sein.
Fast wären mir selbst vor Rührung die Tränen gekommen, virtuell natürlich. Ich speicherte den Text, wie auch schon den ersten
Versuch, im Ordner Vers_Berichte_Archiv_2005, änderte aber den Dateinamen in die auch sonst übliche Schreibweise Jelinowa_Irina.
Die Obduktionsberichte in diesem Ordner waren längst erledigt, mit diesen Akten passierte nichts mehr. Daher war ich mir sicher,
dass meine Datei nicht gefunden werden würde. Aber wenn doch, sollte der Dateiname IRINA nicht gleich als offensichtlich persönlicher
Text erkannt werden.
Als ich in den Keller zurückkam, war Irina weg. Hatte ich eben noch ihre Gegenwart nicht ertragen, so zerriss mir nun meine
Einsamkeit das Herz. Ich raste los, um sie zu suchen. Sie lag bereits zu Hause im Bett, wo sie mit dem Handy in der Hand selig
schlummerte. Gern hätte ich ihr das Teil weggenommen, denn es war noch angeschaltet und sollte eigentlich nicht stundenlang
direkt neben dem Hirn herumstrahlen, aber das ging natürlich nicht. Ich wachte eine Zeit lang über ihren Schlaf und drehte
dann eine Runde durch die Stadt.
Langsam ließ der Reiz leicht bekleideter Perlhühner nach. Wochenlang zeigte jede Tussi jedes Tatoo von der Schulter über den
Bauchnabel bis zum Fußknöchel. Ichhatte inzwischen alles gesehen. Chinesische Schriftzeichen (die vermutlich »Schweinefleisch süß-sauer« oder »nieder mit Mao«
bedeuteten), Blumen und anderes Gesträuch, chinesische Drachen, Fantasy-Drachen und Flugdrachen, die ganze Milchstraße rauf
und runter, Männernamen, Frauennamen, keltische Freundschaftssymbole und so ziemlich alles, was es sonst noch an Geschmacklosigkeiten
gibt. Der Kick wurde mit jedem Tag kleiner, zumal die Leute ständig unerträglicher wurden. Seit Wochen konnte kaum ein Einwohner
dieser Stadt vernünftig pennen, und das machte sich im Verhalten bemerkbar. Weiber zickten, Typen knüppelten wegen jeder Kleinigkeit
aufeinander oder auf ihre Schlampen ein, und ständig raste irgendwo eine Blaulichtschaukel durch die Gegend, um wieder ein
paar Durchgeknallte aufzusammeln. Der Stresspegel der Stadt stieg.
Normalerweise hätte mich das nicht gestört. Wo viel geprügelt wird, ist immer was los, und ich kann mit mir selbst Wetten
auf den Gewinner abschließen, aber in dieser Nacht ging es mir auf den Sack. Ich zischte durch diverse Wohnzimmer, bis ich
eine Tussi fand, die das Frischhaltedatum um mindestens zehn Jahre überschritten hatte. Sie hockte mit einem kalorienreduzierten
Sahneeis in der Zweieinhalb-Liter-Packung und einer Wagenladung Taschentüchern (frische links, benutzte rechts) auf der Wohnzimmercouch
und glotzte Rührschinken. Ich gestehe es ungern, aber ich blieb bei ihr, hockte mich auf die Seite mit den unbenutzten Taschentüchern
und glotzte mit.
Unfassbar, wie tief ich gesunken war. Und alles wegen Irina, die von alldem natürlich keine Ahnung hatte und nie haben würde,
davon war ich überzeugt. Bis zum letzten Film des Abends. ›Contact‹ mit Jodie Foster und Matthew mit dem unaussprechlichen
Nachnamen. Im Laufe des Films kam mir eine Idee
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