Kühlfach zu vermieten - Profijt, J: Kühlfach zu vermieten
Viktor?«
»Wer sonst?«, fragte Gregor zurück.
Katrin verdrehte die Augen. »Ihr seid mir zwei schöne Eastwoods, Jungs. Also: Regel Nummer eins bei der Kripo lautet, immer
im direkten Umfeld eines Verbrechens nach dem Täter zu suchen. Also suchte Gregor im Institut nach jemandem, der die Gelegenheit,
das Wissen und ein Motiv gehabt hätte, Leichenteile beziehungsweise ganze Leichen zu klauen. Und die einzige Person, auf die
alle drei Bedingungen zutreffen, ist Viktor.«
»Gelegenheit ist klar?«, fragte Gregor. »Er hat einen Schlüssel und hält sich jede Nacht zehn Stunden im Leichenkeller auf.
Er konnte also in aller Ruhe das Terrain sondieren und zuschlagen, wenn er dienstfrei hatte.«
»Aber er ist Nachtwächter und Hausmeister«, sagte Martin.
»In Deutschland, ja. In Russland war er Metzger. Und da er geschickte Hände hatte und die Menschen sich einen teuren Veterinär
nicht leisten konnten, wenn die Kuh sich das Bein gebrochen oder der Hund eine schreckliche Bisswunde hat, hat er auch als
Tierarzt gearbeitet. Inoffiziell natürlich und immer gegen Naturalien. Aber seine Kumpels vom russischen Kulturverein können
sich noch daran erinnern.«
Martin zögerte, nickte dann aber.
»Aber das Motiv?«, hakte Martin nach.
»Geld. Viktor arbeitet erst seit sechs Jahren mit Sozialversicherung und erst seit einem Jahr in der Klinik im Park. Vorher
waren die Jobs noch schlechter bezahlt. Er hat praktisch keine Ersparnisse, und wenn er seine beiden Jobs nicht mehr machen
kann, ist er arm. Hartz IV ist wohl nicht das, was er sich für seinen Lebensabend im reichen Deutschland gewünscht hat.«
»Und an wen verkauft er die geklauten Organe?«, fragte Martin. Er machte inzwischen einen ziemlich nüchternen Eindruck und
sog jetzt langsam an dem Eiskaffee, den eine ungeschickte Bedienung mit einem feuchten Schwupp vor ihn hingestellt hatte.
Gregor und Katrin sahen sich kurz an.
»Tja«, murmelte Gregor.
Katrin beugte sich zu Martin. »An seinen zweiten Arbeitgeber – die Klinik im Park?«
Viel weiter kam die Besprechung nicht, weil Martin den Eiskaffee auskotzte und Gregor zu einem Mord gerufen wurde. Katrin
kümmerte sich darum, Martin nach Hause zu schaffen.
Ich hing wieder einmal im wahrsten Sinne des Wortes in der Luft. Martin lag in seinem Bett und stand mir für die weitere Abendunterhaltung
nicht zur Verfügung. Gregor auch nicht, Katrin hängte sich vor die Glotze. Birgit war nicht in ihrer Wohnung und Irina war
auch noch nicht wieder aufgetaucht. Viktor hockte am Küchentisch und starrte ins Leere. Wenn er hier hockte, waren die Kühlfächer
ohne Aufsicht, fiel mir siedend heiß ein. Ich düste rüber, um zu sehen, was sich dort tat. Die Blaulichtschaukel, die nach
dem Überfall auf Jochen ein paar Tage neben dem Eingang geparkt hatte, war weg. Zwei Jungs von einem Bestattungsunternehmen
hatten gerade eine neue Leiche gebracht und verließen das Gelände. Der Keller des Rechtsmedizinischen Instituts war somit
menschenleer. Also leer von lebenden Menschen. Tote lagen dort bis zur oberen Schrankkante.
Sollte ich jetzt etwa hier Wache halten? Wenn in dieser Nacht irgendetwas passieren würde, würde Martin mich dafür verantwortlich
machen. Zumindest würde er von mir erwarten, dass ich ihm genau sagen könnte, was passiert ist und wann und von wem und vielleicht
sogar noch wieso. Ich war unschlüssig. Eigentlich war die Nacht zu schön, um hier vor dem Institut herumzuhängen, andererseits
wurde es Zeit, Licht in die mysteriösen Vorgänge zu bringen.
Wenn ich mir vorstellte, dass jemand meiner Leiche die Augen geklaut hätte, dass ein wildfremder Mensch jetzt damit herumliefe,
dann würde ich echt sauer. Wenn überhaupt, dann würde ich das gern selbst genehmigen. Für Birgit, zum Beispiel, würde ich
meine Hornhaut rausrücken. Oder für Katrin. Auch für Martin und Gregor, Irina natürlich sowieso, aber danach war auch schon
ganz schnell Schluss.
Während ich noch so in meine Betrachtungen über Verkauf,Vermietung und Verpachtung meiner Organe versunken war, hatte sich eine menschliche Gestalt dem Keller genähert. Ich tippte
auf einen Mann, obwohl er für einen Kerl ziemlich schmächtig war. Er ruckelte an der Sicherheitstür herum und – hey, die Tür
schwang auf. Einfach so! Das gab es doch wohl gar nicht. Ich zischte näher, um mir anzusehen, wie das passieren konnte, und
entdeckte eine Folie, die über das Schloss geklebt war.
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