Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)
ein Duell. Die Ganoven spielen nicht zu mehreren, sie spielen immer Mann gegen Mann, getrennt durch das traditionelle Kissen.
Wenn einer alles verspielt hat, setzt sich ein anderer dem Sieger gegenüber, und solange es etwas »zu setzen« gibt, geht die Kartenschlacht weiter.
Nach den Regeln, den ungeschriebenen Regeln, hat der Gewinner nicht das Recht, das Spiel abzubrechen, solange es einen »Einsatz« gibt – Hosen, ein Pullover, ein Jackett. Gewöhnlich wird der Preis der »zu spielenden« Sache im Einverständnis der Partner festgelegt – und um die Sache wird gespielt wie um einen Geldeinsatz. Alle Rechnungen muss man im Kopf behalten und sich verteidigen können – sich nicht übervorteilen, betrügen lassen.
Betrug im Kartenspiel ist ein Ruhmesblatt. Der Gegner muss den Betrug bemerken und aufdecken und damit einen »Robber« gewinnen.
Alle Ganoven sind Falschspieler, aber das gehört sich auch so – du musst in der Lage sein, aufzudecken, zu ertappen, nachzuweisen … Eben darum setzt man sich zum Spiel, um den anderen zu betrügen, um unter wechselseitiger Kontrolle kunstvoll »Kommers zu machen« .
Die Kartenschlacht ist – wenn sie an einem sicheren Ort stattfindet – ein unendlicher Strom von gegenseitigen Beleidigungen und unflätigen Flüchen; unter diesem gegenseitigen Beschimpfen findet das Spiel statt. Die alten Ganoven sagen, dass in ihren Jugendtagen, in den zwanziger Jahren, die Diebe einander nicht so schmutzig und zotig beschimpft hätten, wie heute beim Kartenspiel. Die ergrauten »Paten« wiegen die Köpfe und flüstern: »O Zeiten! O Sitten!« Die Manieren der Ganoven verschlechtern sich von Jahr zu Jahr.
Karten werden im Gefängnis und im Lager in märchenhafter Geschwindigkeit hergestellt – die Erfahrung vieler Generationen von Dieben hat den Herstellungsmechanismus erarbeitet; auf die rationellste und praktikabelste Art stellt man die Karten im Gefängnis her. Man braucht dazu Kleister – das heißt Brot, die Ration, die immer bei der Hand ist und die man sehr schnell kauen kann, um Kleister zu haben. Man braucht Papier – dazu taugt eine Zeitung oder auch Packpapier oder eine Broschüre oder ein Buch. Man braucht ein Messer – aber in welcher Gefängniszelle, in welcher Lageretappe findet sich kein Messer?
Das wichtigste – man braucht einen Kopierstift für die Farbe, und darum hüten die Ganoven so sorgsam ein Stück Kopierstift und schützen es vor jeder Durchsuchung. Dieser Kopierstiftrest tut einen doppelten Dienst. Die Späne des Kopierstifts kann man sich in kritischer Lage in die Augen streuen, und das nötigt den Feldscher oder Arzt, den Erkrankten ins Krankenhaus zu legen. Manchmal ist das Krankenhaus für den Ganoven der einzige Ausweg aus einer schwierigen, bedrohlichen Lage. Ein Unglück, wenn die medizinische Hilfe zu spät kommt. Nicht wenige Ganoven sind von dieser kühnen Operation erblindet. Aber nicht wenige Ganoven sind auch der Gefahr entkommen und haben sich im Krankenhaus gerettet. Das ist die zusätzliche Rolle des Kopierstifts.
Die jungen »Cheflein« denken, dass der Kopierstift zur Herstellung von Siegeln, Stempeln und Papieren gebraucht wird. Eine solche Verwendung ist außerordentlich selten, und natürlich braucht man, wenn man Dokumente herstellen will, nicht nur den Kopierstift. Das Wichtigste aber, wozu die Ganoven einen Kopierstift anschaffen und aufbewahren, weswegen sie ihn viel höher schätzen als gewöhnliche Bleistifte – das ist ihre Nutzung zum Färben der Karten, zum »Kartendrucken«.
Zuerst wird eine »Schablone« gemacht. Das ist kein Ganovenwort, aber in der Gefängnissprache sehr geläufig. In die Schablone wird das Ornament der Farbe geschnitten – Ganovenkarten kennen nicht rot und schwarz, »rouge« und »noir«. Alle Farben haben dieselbe Färbung. Der Bube hat ein doppeltes Ornament, denn der Bube hat zwei Punkte nach der internationalen Konvention. Die Dame hat drei miteinander verbundene Ornamente. Der König vier. Das As ist die Verbindung mehrerer Ornamente im Zentrum der Karte. Sieben, Acht, Neun und Zehn werden in ihrer gewöhnlichen Konfiguration hergestellt – so wie bei den Ausgaben des staatlichen Kartenmonopols.
Das gekaute Brot wird durch ein Tuch gedrückt, und mit dem hervorragenden Kleister werden zwei Blätter dünnes Papier zusammengeklebt, dann getrocknet und mit einem scharfen Messer in die nötige Anzahl von Karten zerschnitten. Der Kopierstift wird in einen Lappen gelegt, angefeuchtet –
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