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Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)

Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)

Titel: Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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Ganovenwelt, das ist jener Grenzbereich, wo sich die Gesellschaft mit ihrem Antipoden trifft.
    Das Anwerben junger oder neuer Diebe geschieht selten aus dem Rowdymilieu. Höchstens wenn der Rowdy seine Ausschweifungen seinlässt und, vom Gefängnis gebrandmarkt, sich unter die Ganoven einreiht, bei denen er für die Ideologie, für die Aufstellung der Gesetze dieser Welt niemals eine große Rolle spielen wird.
    Die Berufsdiebe, das sind die angestammten Diebe oder Leute, die schon als Jungen das gesamte Programm der kriminellen Wissenschaft durchlaufen haben, die für die Alten Wodka und Papirossy geholt, die »Schmiere« oder »Butter« gestanden haben, die in Lüftungsklappen eingestiegen sind, um den Räubern die Tür zu öffnen und erst dann, nachdem sie im Gefängnis ihren Geist gestärkt haben, selbständig »zur Sache« gegangen sind.
    Die Ganovenwelt ist ein Feind der Macht, und zwar jeder Macht. Das verstehen die Ganoven, die »Denker« unter den Ganoven gut. Die heroische Zeit der »
starorotskije
« und »
katorshantschiki
« erscheint ihnen keineswegs als ruhmreich. »
Starorotskij
« ist ein Beiname für einen Häftling aus den zaristischen Häftlingskompanien. »
Katorshantschik
« ist jemand, der in der zaristischen
katorga
war – auf Sachalin oder an der Kolesucha . An der Kolyma ist es üblich, die zentralen Gouvernements »Festland« zu nennen, obwohl Tschukotka ja keine Insel ist, sondern eine Halbinsel. Das »Festland« ist sowohl in die Literatur als auch in die Zeitungssprache und in den offiziellen Schriftverkehr eingegangen. Dieser bildhafte Ausdruck stammt ebenfalls aus der Verbrecherwelt: die Verbindung über das Meer, die Dampfer-Linie Wladiwostok–Magadan, die Landung an den kahlen Felsen war den Sachalin-Bildern der Vergangenheit sehr ähnlich. So setzte sich für Wladiwostok die Bezeichnung »Festland« durch, obwohl niemand die Kolyma jemals als Insel bezeichnet hat.
    Die Welt der Ganoven ist eine Welt der Gegenwart, der realen Gegenwart. Das »Diebsvolk« versteht sehr gut, dass irgendein legendärer Gorbatschewskij aus dem Lied: »Es schlägt ein wie ein Donnerschlag / Pan Gorbatschewskij ist abgebrannt« kein größerer Held ist als Wanka Tschibis aus dem Nachbarbergwerk.
    Kein Ausland verlockt den durch Erfahrung gewitzten Ganoven, und die Diebe, die im Krieg dort waren, sind vom Ausland nicht begeistert, vor allem von Deutschland nicht – wegen der außerordentlichen Strenge der Bestrafung für Diebstahl und Mord. Ein wenig leichter atmet es sich für den Dieb in Frankreich, aber auch dort haben die Umschmiedungstheorien keinen Erfolg und die Diebe haben es schwer. Relativ günstig erscheinen den Ganoven die Verhältnisse bei uns, wo es ein derart weitgehendes Vertrauen und die immerwährend wiederholten »Umschmiedungen« gibt.
    Zu den »Legenden im Werden« der Ganovenwelt gehört auch die Prahlerei der Ganoven – die Behauptung, dass ein »guter
urka
« das Gefängnis meidet und verflucht. Dass das Gefängnis nur eine traurige Beigabe zum Diebesberuf ist. Das ist ebenfalls Koketterie und Affektiertheit. Das ist verlogen wie alles, was aus dem Mund eines Ganoven kommt.
    Der Einschleichdieb Juzik (d.h. ein Pole) Zagorski, zimperlich und affektiert, sagte prahlerisch, dass er von den zwölf Jahren seiner Laufbahn als Dieb nur acht im Gefängnis verbracht habe. Juzik versicherte, dass er nicht getrunken und nicht gefeiert habe nach einem gelungenen Fang. Er habe, sehen Sie nur, die Oper besucht, wo er ein Abonnement besaß, und erst als das Geld zu Ende war, machte er sich wieder ans Stehlen. Alles wie im Lied:
    Dort, im Konzert lernt’ im Garten ich kennen
    Ein Wunder der Schönheit pur
    Schnell wie der Schnee ist mein Geld hingeschmolzen
    Es blieb mir die Abreise nur.
    Mir blieb nur in Leningrad unterzutauchen,
    Ein böser und finsterer Spuk.
    Aber der Freund des Operngesangs konnte sich an keinen einzigen Titel jener Opern erinnern, die er mit solcher Begeisterung hörte.
    Juzik hatte offensichtlich »Opern erzählt« – dieses Gespräch wurde nicht fortgeführt. Seinen Operngeschmack hat Juzik natürlich aus den »Rómans« geschöpft, die er an den Gefängnisabenden viele Male gehört hat.
    Aber auch was das Gefängnis angeht, hat Juzik ein wenig aufgeschnitten – er wiederholte jemandes fremden Satz, irgendeinen größeren Ganoven.
    Die Ganoven sagen, dass sie im Moment des Diebstahls eine Erregung besonderer Art erleben, jene Nervenvibration, die den Akt des Stehlens

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