Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)
und die Druckmaschine ist fertig. Die »Schablone« wird auf die Karte gelegt und mit der violetten Farbe eingestrichen, die das erforderliche Ornament auf der Vorderseite der Karte hinterlässt.
Wenn das Papier dick ist, wie in den »Akademie«-Ausgaben, dann schneidet man es einfach zu und »druckt« die Karten.
Zur Herstellung eines Kartenspiels (das Trocknen eingeschlossen) braucht man etwa zwei Stunden.
Das ist das rationellste Verfahren bei der Herstellung von Spielkarten, ein aus hundertjähriger Erfahrung hervorgegangenes Verfahren. Das Rezept taugt unter allen Verhältnissen und ist allgemein praktikabel.
Bei allen Durchsuchungen und auch aus Paketen werden die Kopierstifte von der Wache äußerst sorgfältig eingezogen. Hierzu gibt es einen strengen Befehl.
Es heißt, dass die Diebe freie junge Frauen im Kartenspiel aneinander verspielen – so etwas gab es in Pogodins »Aristokraten«. Ich glaube, dass das eine der »Legenden im Werden« ist. Ich hatte nie Gelegenheit, Szenen aus Lermontows »Rentmeistersfrau« zu sehen.
Es heißt, man verspielt einen Mantel, wenn er noch auf den Schultern eines
frajers
liegt. Auch diese Art von Spielverlust habe ich nie erlebt, obwohl daran nichts Unwahrscheinliches ist. Ich denke trotzdem, dass es hier um ein »Verlieren auf Ehrenwort« ging und ein Mantel oder etwas Gleichwertiges innerhalb einer bestimmten Frist zu beschaffen, zu stehlen war.
Manchmal gibt es im Spiel einen Moment, wo sich Fortuna nach der zweiten oder dritten durchspielten Nacht bei wechselndem Glück der einen Seite zuneigt. Alles ist verspielt, und das Spiel geht zu Ende. Berge von Pullovern, Hosen, Schals und Kissen türmen sich im Rücken des Gewinners. Und der Verlierer bestürmt ihn: »Lass mich zurückgewinnen, gib mir noch eine Karte, leih sie mir auf ›Ehrenwort‹ bis morgen.« Und wenn der Sieger ein großes Herz hat, willigt er ein, das Spiel geht weiter und der Partner des Siegers setzt sein »Ehrenwort«. Er kann gewinnen, das Glück kann wechseln, er kann sich ein Stück um das andere zurückerspielen und selbst Sieger sein … Aber er kann auch verlieren.
»Auf Ehrenwort« spielt man ein Mal, die vereinbarte Summe wird nicht mehr verändert und die Frist zum Beibringen der Schuld nicht verlängert.
Wenn das verspielte Stück oder das Geld nicht innerhalb der Frist beigebracht ist, wird der Verlierer für geschlagen erklärt, und ihm bleibt nur eins, der Selbstmord oder die Flucht aus der Zelle, aus dem Lager, Flucht an den Arsch der Welt – er muss die Kartenschuld, die Ehrenschuld innerhalb der Frist begleichen!
Und hier kommen die fremden Mäntel ins Spiel, die noch warm sind von der Wärme des
frajer
-Körpers. Was tun! Die Diebesehre oder, richtiger, das Leben des Diebes ist teurer als irgendein Mantel eines
frajers
.
Von den niederträchtigsten Bedürfnissen, von ihrer Qualität und ihrem Ausmaß haben wir schon gesprochen. Diese Bedürfnisse sind ganz eigen und allem Menschlichen sehr fern.
Es gibt noch einen anderen Blick auf das Verhalten der Ganoven. Diese Menschen sind sozusagen psychisch krank und darum nicht ganz zurechnungsfähig. Zweifellos sind die Ganoven allesamt Hysteriker und Neurastheniker. Der berüchtigte »Geist« der Ganoven, ihre Fähigkeit »den Irren zu mimen« spricht für eine Zerrüttung des Nervensystems. Sanguiniker und Phlegmatiker sind unter den Ganoven sehr selten, wenn sie auch vorkommen. Der berühmte Taschendieb Karlow mit dem Beinamen »Lieferant« (in den dreißiger Jahren schrieb die »Prawda« über ihn, als sie ihn am Kasaner Bahnhof fassten) war ein fülliger, rotwangiger, dickwanstiger, lebensfroher Mann. Aber das ist die Ausnahme.
Manche gelehrten Mediziner halten jeden Mord für eine Psychose.
Wenn die Ganoven psychisch Kranke sind, dann muss man sie auf ewig im Irrenhaus halten.
Uns aber scheint, dass die kriminelle Welt eine besondere Welt von Menschen ist, die keine Menschen mehr sind.
Diese Welt hat immer existiert, sie existiert auch heute und zerstört und vergiftet mit ihrem Atem unsere Jugend.
Die gesamte Psychologie des Diebes fußt auf der längst bekannten, uralten Beobachtung der Ganoven, dass ihr Opfer das niemals tut, nicht einmal daran denken kann das zu tun, was der Dieb alltäglich, allstündlich leichten Herzens und ruhiger Seele freudig tut. Darin liegt seine Stärke – in der grenzenlosen Dreistigkeit und im Fehlen jeder Moral. Für den Ganoven geht nichts »zu weit«. Wenn es ein Dieb auch nach
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