Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)
verteilen, und das gelang ihm. Geteilt wurde nicht nur die Liebe, sondern auch ihre materiellen Bekundungen – jedes essbare Geschenk wurde von Gratschew in zwei Exemplaren bereitet. Mit Lippenstift, Bändern und Parfum machte er es ganz genauso – Leschtschewskaja wie Zulukidse erhielten am selben Tag vollkommen identische Bänder, identische Flakons mit Parfum, identische Tüchlein.
Das wirkte überaus rührend. Außerdem war Gratschew ein stattlicher, ansehnlicher Bursche. Leschtschewskaja wie Zulukidse waren begeistert vom Takt ihres gemeinsamen Geliebten. Freundinnen allerdings wurden sie nicht, und als Tamara überraschend aufgefordert wurde, den Krankenhaus-Ganoven Rede und Antwort zu stehen, war Leschtschewskaja insgeheim schadenfroh.
Einmal wurde Tamara krank – sie lag im Krankenhaus, im Frauensaal. Nachts öffnete sich die Tür zum Saal, und über die Schwelle trat, mit den Krücken polternd, ein Abgesandter der
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. Die Ganovenwelt streckte ihren langen Arm nach Tamara aus.
Der Abgesandte rief ihr die Eigentumsrechte der Ganoven an der Frau in Erinnerung und forderte sie auf, in der chirurgischen Abteilung zu erscheinen und »seinem Auftraggeber zu Willen« zu sein.
Es gab hier, nach den Worten des Abgesandten, Leute, die jenen Ganoven aus Tbilissi kannten, als dessen Freundin Tamara Zulukidse galt. Jetzt vertrete ihn hier Senka Gundosyj. Und in seine Umarmungen solle sich Tamara unverzüglich begeben.
Tamara ergriff ein Küchenmesser und stürzte sich auf den hinkenden Ganoven. Die Sanitäter konnten ihn ihr kaum entreißen. Tamara bedrohend und sie unflätig beschimpfend, entfernte sich der Abgesandte. Tamara wurde schon am nächsten Morgen aus dem Krankenhaus entlassen.
An Versuchen, die verlorene Tochter unter die Fahnen der Ganoven zurückzuholen, gab es nicht wenige, und alle blieben ohne Erfolg. Tamara wurde mit dem Messer angegriffen, aber die Wunde war unbedeutend. Es kam das Ende ihrer Strafhaft, und sie heiratete irgendeinen Aufseher, einen Mann mit Revolver, und der Ganovenwelt fiel sie doch nicht zu.
Die blauäugige Nastja Archarowa, eine Stenotypistin aus Kurgan, war weder Diebin noch Prostituierte und hatte ihr Schicksal gegen ihren Willen für immer mit der Welt der Diebe verbunden.
Ihr Leben lang, seit ihren jungen Jahren, hatten Nastja die verdächtige Ehrerbietung, die unheildrohende Achtung solcher Leute umgeben, von denen Nastja in Kriminalromanen gelesen hatte. Diese Ehrerbietung, die Nastja schon »in Freiheit« bemerkt hatte, gab es sowohl im Gefängnis als auch im Lager – überall, wo Ganoven auftauchten.
Daran war nichts Geheimnisvolles – Nastjas älterer Bruder war ein berühmter »Einschleichdieb« im Ural, und Nastja sonnte sich von jungen Jahren an im Licht seines kriminellen Ruhms, seines Erfolgs als Dieb. Unmerklich war Nastja in den Kreis der Ganoven, ihrer Interessen und Angelegenheiten geraten und schlug es nicht ab, Gestohlenes verstecken zu helfen. Die erste Haftzeit von drei Monaten gewöhnte sie ein und verhärtete sie und verband sie fest mit der Ganovenwelt. Solange sie in ihrer Stadt war, zögerten die Diebe aus Furcht vor dem Zorn des Bruders, Nastja als Ganoveneigentum zu benutzen. In ihrer »sozialen« Stellung war sie näher an der Diebin, eine Prostituierte war sie ja überhaupt nicht – und als Diebin schickte man sie auf die üblichen Fernreisen auf Staatskosten. Hier war schon kein Bruder mehr, und gleich in der ersten Stadt, in die es sie nach der ersten Freilassung verschlug, machte der örtliche Ganovenanführer sie zu seiner Frau und steckte sie nebenbei mit Gonnorhöe an. Er wurde bald verhaftet, und zum Abschied sang er Nastja das Diebesliedchen: »Und dein Herr wird mein Kumpan«. Mit dem Kumpan (d.h. Kameraden) lebte Nastja ebenfalls nicht lange – er kam ins Gefängnis, und der nächste Besitzer meldete sein Recht auf Nastja an. Er war Nastja physisch widerwärtig – so ein ewig Geifernder und an irgendeiner Flechte Erkrankter. Sie versuchte, sich mit dem Namen ihres Bruders zu schützen – man machte ihr klar, dass auch ihr Bruder nicht das Recht hat, gegen die großen Gesetze der Ganovenwelt zu verstoßen. Man bedrohte sie mit dem Messer, und sie stellte den Widerstand ein.
Im Krankenhaus erschien Nastja ergeben zu den Liebes»vorladungen«, saß oft im Karzer und weinte viel – entweder war sie nah am Wasser gebaut oder ihr Schicksal, das Schicksal eines zweiundzwanzigjährigen Mädchens, machte ihr zu viel
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