Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)

Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)

Titel: Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
Vom Netzwerk:
sämtlich Syphilitiker sind, von der chronischen Gonorrhöe selbst in unserem Penizillinzeitalter ganz zu schweigen.
    Man kennt den klassischen Ausspruch »Syphilis ist keine Schande, sondern ein Unglück«. Hier ist die Syphilis nicht nur keine Schande, sondern gilt als Glück und nicht Unglück des Häftlings – das ist ein weiteres Beispiel für die berüchtigte »Verschiebung der Maßstäbe«.
    Vor allem ist die Zwangsbehandlung der Veneriker Pflicht, und das weiß jeder Ganove. Er weiß, dass er sich »festsetzen« kann, dass man ihn mit seiner Syphilis nicht an entlegene Ort verlegen, sondern in vergleichsweise komfortablen Siedlungen wohnen lassen und behandeln wird – dort, wo es Venerologen, Spezialisten gibt. All das ist so gut kalkuliert und abgepasst, dass sich sogar solche Ganoven zu Venerikern erklären, die Gott verschont hat vor den vier und drei Kreuzen der Wassermannschen Reaktion . Und die Unsicherheit einer negativen Antwort des Labors bei dieser Reaktion war den Ganoven auch sehr genau bekannt. Gefälschte Geschwüre, vorgeschobene Beschwerden sind eine gewöhnliche Erscheinung neben den wirklichen Geschwüren und ernsthaften Beschwerden.
    Die Veneriker werden zur Behandlung in besonderen Zonen zusammengezogen. Früher wurde in solchen Zonen gar nicht gearbeitet, und sie waren die geeignetste »Zuflucht Monrepos« für die Ganoven. Später wurden diese Zonen in besonderen Bergwerken oder Waldaußenstellen eingerichtet, in denen die Häftlinge, abgesehen vom Salvarsan und der Lagerverpflegung, nach den gewöhnlichen Normen arbeiten mussten.
    Aber faktisch fragte in diesen Zonen niemand wirklich nach Arbeit, und es lebte sich in diesen Zonen wesentlich leichter als in einem gewöhnlichen Bergwerk.
    Die venerischen Männerzonen waren immer ein Ort, von dem aus die jungen Opfer der Ganoven ins Krankenhaus kamen – mit Syphilis angesteckt über den After. Die Ganoven sind fast sämtlich Päderasten – in Ermangelung von Frauen schändeten und infizierten sie Männer meist unter Androhung des Messers, seltener gegen »Kluft« (Kleidungsstücke) oder Brot.
    Wenn man über die Frauen der Ganovenwelt spricht, kommt man an der ganzen Armee dieser »Sojkas«, »Mankas«, »Daschkas« und sonstiger Geschöpfe männlichen Geschlechts nicht vorbei, die auf weibliche Namen getauft waren. Verblüffenderweise reagierten ihre Träger auf diese weiblichen Namen völlig normal, ohne darin etwas Blamables oder Kränkendes zu sehen.
    Sich von einer Prostituierten ernähren zu lassen gilt für den Dieb nicht als anstößig. Im Gegenteil, die Prostituierte muss den persönlichen Umgang mit einem Dieb sehr hoch schätzen.
    Die Zuhälterei ist vielmehr eins der »reizvollen« Details des Berufs, das der Diebesjugend sehr gefällt.
    Bald spricht man über uns das Urteil,
    Wir werden zum Perwomajskij gebracht.
    Dort sehen sie uns und bringen Pakete,
    die guten Mädels vom Fach, –
    singt man im Gefängnislied »Mädels vom Fach«. Und das sind die Prostituierten.
    Aber es kommt vor, dass das Gefühl, das die Liebe ersetzt, und auch Gefühle wie Ehrgeiz und Selbstmitleid eine Frau der Ganovenwelt zu »ungesetzlichen« Handlungen treiben.
    Natürlich werden hier an eine Diebin höhere Ansprüche gestellt als an eine Prostituierte. Wenn eine Diebin mit einem Aufseher lebt, begeht sie Verrat nach Meinung der Scholasten unter den Ganoven. Man kann sie für ihren Fehler verprügeln oder einfach als »
suka«
abstechen.
    Einer Prostituierten wird eine solche Handlung nicht als Vergehen angerechnet.
    In diesen Konflikten einer Frau mit dem Gesetz ihrer Welt kann die Lösung des Problems unterschiedlich ausfallen und ist abhängig von ihren persönlichen Eigenschaften.
    Tamara Zulukidse, eine zwanzigjährige Diebin und Schönheit, ehemalige Freundin eines berühmten
urka
aus Tbilissi, hatte im Lager ein Verhältnis mit dem Chef der Kultur- und Erziehungsabteilung Gratschew – einem tüchtigen dreißigjährigen Leutnant, einem Junggesellen und schönen Mann.
    Gratschew hatte eine weitere Geliebte im Lager, die Polin Leschtschewskaja – eine der berühmten »Schauspielerinnen« des Lagertheaters. Als er mit Tamara das Verhältnis einging, verlangte sie nicht von ihm, Leschtschewskaja aufzugeben. Und Leschtschewskaja hatte nichts gegen Tamara. Der brave Gratschew lebte gleichzeitig mit zwei »Ehefrauen«, so wie nach moslemischen Brauch. Als erfahrener Mensch versuchte er seine Aufmerksamkeit gleichmäßig auf beide zu

Weitere Kostenlose Bücher