Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)
gehörte zu den längerdienenden jungen »Veteranen«, die sich längst an die Freiheiten und Besonderheiten eines Lebens als Begleitposten gewöhnt haben, in dem der Begleitposten völliger Herr über das Schicksal der Häftlinge ist. Nicht zum ersten Mal begleitete er eine Frau – eine solche Fahrt verhieß immer gewisse Zerstreuungen, die einem gemeinen Schützen im Norden nicht allzu oft zuteil wurden.
In der Kantine an der Straße hatten sie zu dritt – der Begleitposten, der Fahrer und Demidowa – zu Mittag gegessen. Der Begleitposten hatte sich mit Alkohol Mut angetrunken (im Norden trinken Wodka nur die sehr hohen Chefs) und Demidowa ins Gebüsch geschleppt. Weidengehölze und junge Espen wuchsen in Hülle und Fülle um jede Tajgasiedlung.
Im Gebüsch legte der Begleitposten die Maschinenpistole auf die Erde und machte sich an Demidowa heran. Demidowa riss sich los, griff sich die Maschinenpistole und jagte mit zwei Kreuzfeuerstößen neun Kugeln in den Körper des wollüstigen Begleitpostens. Sie warf die Maschinenpistole ins Gebüsch, ging zurück in die Kantine und fuhr mit einem angehaltenen Fahrzeug davon. Der Fahrer schlug Alarm, die Leiche des Begleitpostens und seine Maschinenpistole wurden sehr schnell gefunden und Demidowa selbst zwei Tage später und einige hundert Kilometer vom Ort ihrer Affaire mit dem Begleitposten entfernt aufgegriffen. Demidowa wurde erneut vor Gericht gestellt, und man gab ihr fünfundzwanzig Jahre. Arbeiten hatte sie auch früher nicht wollen, sie hatte ihre Nachbarn in der Baracke bestohlen, und die Bergwerksleitung wollte die Ganovin um jeden Preis loswerden. Es bestand die Hoffnung, dass man sie nach dem Krankenhaus nicht ins Bergwerk zurückbringt, sondern irgendwo an einen anderen Ort schickt.
Demidowa war eine Laden- und Wohnungsdiebin, eine »Elster« in der Terminologie der »
urkatschi
«.
Die Ganovenwelt kennt zwei Kategorien von Frauen – die eigentlichen Diebinnen, deren Beruf das Stehlen ist, ebenso wie bei den männlichen Ganoven, und die Prostituierten, die Ganoven-Freundinnen.
Die erste Gruppe ist wesentlich weniger zahlreich als die zweite und genießt unter den »
urkatschi
«, die die Frau für ein Geschöpf niederer Art halten, eine gewisse Achtung – die notgedrungene Anerkennung ihrer Verdienste und fachlichen Eignung. Gewöhnlich beteiligt sich die Beischläferin irgendeines Diebes (die Worte »Dieb« und »Diebin« werden hier immer im Sinn der Zugehörigkeit zum Unterwelt-Orden der
urkatschi
gebraucht), die Diebin nicht selten an der Ausarbeitung der Diebstahlspläne und den Diebstählen selbst. An den männlichen »Ehrengerichten« jedoch ist sie nicht beteiligt. Solche Regeln diktierte das Leben selbst – an den Haftorten sind Männer und Frauen getrennt, und dieser Umstand brachte einigen Unterschied in den Alltag, die Gewohnheiten und Regeln des einen und des anderen Geschlechts. Die Frauen sind trotz allem sanfter, ihre »Gerichte« weniger blutig, die Urteile weniger hart. Von weiblichen Ganoven begangene Morde sind seltener als in der männlichen Hälfte des Ganovenhauses.
Vollkommen ausgeschlossen ist, dass eine Diebin mit irgendeinem
frajer
»leben« könnte.
Die Prostituierten bilden die zweite, große Gruppe von Frauen, die mit der Ganovenwelt verbunden ist. Das ist die berühmte Freundin des Diebes, die für ihn die Mittel zum Leben beschafft. Selbstverständlich beteiligen sich die Prostituierten, wenn nötig, an den Diebstählen, am »Baldowern«, am »Schmierestehen« und am Verhehlen und Losschlagen des Gestohlenen, aber vollberechtigte Mitglieder der Verbrecherwelt sind sie keineswegs. Sie sind ständige Teilnehmerinnen an den Gelagen, aber von den »
prawilki
« können sie nicht einmal träumen.
Der angestammte »
urka
« lernt von Kinderjahren an die Verachtung für die Frau. Die »theoretische«, »pädagogische« Schulung wechselt sich ab mit dem anschaulichen Beispiel der Älteren. Als niederes Geschöpf ist die Frau nur dazu da, die animalische Leidenschaft des Diebes zu befriedigen und als Zielscheibe seiner groben Scherze und Gegenstand der öffentlichen Prügel zu dienen, wenn der Ganove »feiert«. Eine lebendige Sache, die der Ganove in befristete Nutzung nimmt.
Seine Prostituierten-Freundin ins Bett des Chefs zu schikken, wenn das der Sache dient, ist ein gewöhnliches, von allen gebilligtes »Verhalten«. Diese Meinung teilt sie auch selbst. Ein Gespräch über diese Themen ist immer extrem zynisch,
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