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Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)

Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)

Titel: Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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»Anführer« und »Ideologen«.
    Den Fragen der Vaterschaft und der Kindererziehung ist der Ganove unweigerlich fern – diese Fragen nimmt der Ganoven-Talmud vollkommen aus. Die Zukunft seiner Töchter (falls sie irgendwo existieren) sieht der Dieb ganz selbstverständlich in der Karriere einer Prostituierten, der Freundin irgendeines angesehenen Diebes. Überhaupt liegt hier keinerlei moralischer Druck (selbst in seiner Ganoven-Spezifik) auf dem Gewissen des Ganoven. Dass seine Söhne Diebe werden, ist für den Dieb ebenfalls eine vollkommen natürliche Vorstellung.
    1959

Die Gefängnisration
    Eine der populärsten und grausamsten Legenden der Ganovenwelt ist die Legende von der »Gefängnisration«.
    Ebenso wie das Märchen vom »Gentleman-Dieb« ist das eine Reklame-Legende, die Fassade der Ganovenmoral.
    Der Legende zufolge ist die offizielle Gefängnisration, die Gefängnisverpflegung unter den Bedingungen der Haft, »heilig und unantastbar«, und kein Dieb hat das Recht, diese staatliche Existenzquelle anzutasten. Wer das tut, ist verflucht jetzt und in alle Ewigkeit. Ganz gleich, wer er auch sei – ein verdienter Ganove oder die letzte »Rotznase«, ein junger
frajer
.
    Die Gefängnisration in Gestalt von, sagen wir, Brot kann man ohne Befürchtungen und Sorge im Nachttisch aufbewahren, wenn es in der Zelle Nachttische gibt, und unter dem Kopf, wenn es keine Nachttische und Regale gibt.
    Dieses Brot zu stehlen gilt als schändlich, als undenkbar.
    Abnehmen darf man den
frajern
nur die Übergabe , Sachen oder Nahrungsmittel, ganz gleich – das ist nicht verboten.
    Und obwohl jedem klar ist, dass der Schutz der Gefängnisration des Häftlings dem Gefängnisregime selbst obliegt und keineswegs der Gnade der Ganoven, zweifelt doch kaum jemand an der Hochherzigkeit der Diebe.
    Denn die Verwaltung, erklären diese Leute, kann unsere Übergaben nicht schützen vor den Händen der Diebe. Wenn also die Ganoven nicht wären …
    Tatsächlich schützt die Verwaltung die Übergaben nicht. Die Ethik der Zelle verlangt, dass ein Häftling sein Paket mit den Kameraden teilt. Als offene und heimliche Anwärter auf das Paket treten auch die Ganoven auf, als »Kameraden« des Häftlings. Weitsichtige und erfahrene
frajer
opfern gleich die Hälfte der Übergabe. Keiner der Diebe interessiert sich für die materielle Lage des inhaftierten
frajers
. Für sie ist ein
frajer
im Gefängnis oder in Freiheit, ganz gleich, eine legitime Beute, und seine »Übergaben«, seine »Sachen« eine Kriegstrophäe der Ganoven.
    Manchmal werden Übergaben oder Kleidungsstücke abgepresst – sozusagen, gib sie uns, wir werden dir nützlich sein. Und der
frajer
, der in Freiheit doppelt so arm lebt wie ein Dieb im Kerker, gibt die letzten Krümel her, die seine Frau für ihn gesammelt hat.
    Was auch sonst! Das Gesetz des Gefängnisses! Dafür bleibt sein guter Name bewahrt, und Senka Pup selbst hat ihm seinen Schutz versprochen und ihm sogar aus eben jenem Päckchen zu rauchen gegeben, das ihm seine Frau im Paket geschickt hat.
    Die
frajer
im Gefängnis auszuziehen und zu bestehlen ist für die Ganoven eine Pflicht und ein Vergnügen. Damit befassen sich die Welpen, die muntere Jugend … Die etwas Älteren liegen in der besten Ecke der Zelle, am Fenster, beaufsichtigen die Operation und sind bereit, sich bei Halsstarrigkeit des
frajers
jederzeit einzumischen.
    Natürlich kann man ein Geschrei erheben, nach der Wache und dem Kommandanten rufen, aber was hat man davon? Dass man in der Nacht verprügelt wird? Und später, unterwegs, können sie einen auch abstechen. Und darum Gott mit ihr, der Übergabe.
    »Dafür«, sagt der Ganove, vor Sattheit hicksend, und klopft einem »Teufel« auf die Schulter, »dafür ist deine Gefängnisration unversehrt. Und die, mein Freund, bewahre, niemals.«
    Der junge Dieb versteht manchmal nicht, warum er das Gefängnisbrot nicht anrühren darf, wenn sein Besitzer sich an den weißen selbstgebackenen Brötchen aus der Übergabe sattgegessen hat. Der Besitzer der Brötchen versteht das auch nicht. Ihnen beiden erklären die erwachsenen Diebe, dass so das Gesetz des Gefängnisses ist.
    Und mein Gott, wenn irgendein naiver hungriger Bauer, dem an den ersten Hafttagen sein Essen nicht reicht, seinen Ganoven-Nachbarn bittet, ihm ein Stück von der im Regal vertrocknenden Ration abzubrechen. Was hält ihm der Ganove für einen bombastischen Vortrag über die Heiligkeit der Gefängnisration …
    In jenen

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