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Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)

Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)

Titel: Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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Menschen in Schrecken zu versetzen als ihn zu bestechen. Und selbstverständlich billiger. Jeder Schlosser, jeder Schmied würde hinnehmen, dass der Prozentsatz seiner Planerfüllung sinkt, wenn dabei sein Leben erhalten bleibt.
    Indessen überzeugte der tatkräftige König die Leitung von der Notwendigkeit einer »Gastspiel«reise durch die Etappen des Fernen Ostens. Gemeinsam mit sieben seiner Gehilfen fuhr er die Etappen bis Irkutsk ab – und hinterließ in den Gefängnissen Dutzende Leichen und Hunderte neubekehrter »
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«.
    Die »
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« konnten nicht ewig in der Bucht von Wanino bleiben. Wanino ist ein Durchgangslager, eine Etappe. Die »
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« setzten über das Meer und erreichten die Goldbergwerke. Der Krieg verlagerte sich in den großen Raum. Die Diebe töteten die »
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«, die »
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« die Diebe. Die Ziffern des »Archivs Nr. 3« (Verstorbene) kletterten in die Höhe und erreichten beinahe das Rekordniveau des Jahres 1938, als man die »Trotzkisten« in ganzen Brigaden erschoss.
    Die Leitung hängte sich ans Telefon und rief Moskau an.
    Es zeigte sich, dass in der verlockenden Formel des »neuen Diebesgesetzes« die Hauptbedeutung beim Wort »Diebe« lag und von »Umschmiedung« keine Rede war. Die Leitung war auch diesmal übertölpelt worden – vom grausamen und klugen König.
    Seit Anfang der dreißiger Jahre nutzten die Ganoven geschickt die Verbreitung von Ideen einer »Arbeits-Umerziehung« und retteten die eigenen Leute, indem sie leichthin Millionen Ehrenworte gaben und sich das Stück »Die Aristokraten« und die strikten Anweisungen der Leitung zunutze machten, dem kriminellen Rückfalltäter unbedingt »Vertrauen« entgegenzubringen. Makarenkos Ideen und die berüchtigte »Umschmiedung« gaben den Ganoven die Möglichkeit, unter dem Deckmantel dieser Ideen die eigenen Leute zu retten und zu stärken. Es bürgerte sich ein, dass gegenüber den armen Geschöpfen von Kriminellen nur Besserungs- und keine Strafsanktionen verhängt werden dürfen. Tatsächlich wirkte das wie eine sonderbare Sorge um die Erhaltung der Kriminellen. Jeder Praktiker, jeder Lagermitarbeiter wusste, und wusste schon immer, dass von einer »Umschmiedung« und Umerziehung der kriminellen Rückfalltäter gar keine Rede sein kann, dass dieser Mythos Schaden bringt. Dass einen
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und die Leitung zu betrügen das Ruhmesblatt des Diebes ist; dass man einem
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tausendmal schwören, eine Million Ehrenworte geben kann, wenn er nur anbeißt. Nicht sehr weitblickende Dramatiker wie Schejnin oder Pogodin predigten weiterhin, zum größten Nutzen der Ganovenwelt, die Notwendigkeit des »Vertrauens« in die Ganoven. Wenn ein einziger Kostja-Kapitän umerzogen wurde, so verließen Zehntausende Ganoven die Gefängnisse vor der Zeit und begingen zwanzigtausend Morde und vierzigtausend Raubzüge. Das ist der Preis, den wir für die »Aristokraten« und das »Tagebuch des Untersuchungsführers« zahlten. Schejnin und Pogodin waren zu unbewandert in einer so wichtigen Frage. Statt die Kriminellen bloßzustellen, haben sie sie romantisiert.
    1938 wurden die Ganoven im Lager offen zur physischen Abrechung mit den »Trotzkisten« aufgerufen; die Ganoven töteten und verprügelten hilflose alte Männer, hungrige
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… Mit der Todesstrafe wurde sogar »konterrevolutionäre Agitation« geahndet, aber die Verbrechen der Ganoven wurden von der Leitung gedeckt.
    Weder in der Ganoven- noch in der »
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«-Welt gab es irgendein Anzeichen der Umschmiedung. Nur Hunderte Leichen sammelten sich täglich in den Leichenhäusern des Lagers. So dass die Leitung, wenn sie Ganoven und »
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« gemeinsam unterbrachte, die einen oder die anderen bewusst der Gefahr des Todes aussetzte.
    Die Verfügung der Nichteinmischung wurde bald aufgehoben und überall besondere, getrennte Zonen eingeführt – für die »
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« und die Diebe »im Gesetz«. Eilig und dennoch zu spät wurden der König und seine Gesinnungsgenossen von allen Verwaltungsposten im Lager abgelöst und verwandelten sich in gewöhnliche Sterbliche. Der Ausdruck »gewöhnlicher Sterblicher« gewann unerwartet einen besonderen, drohenden Sinn. Die »
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« waren nicht unsterblich. Es erwies sich, dass die Schaffung besonderer Zonen auf dem Territorium eines gemeinsamen Lagers keinerlei Nutzen bringt. Das Blut floss wie zuvor. Man musste getrennte Bergwerke für Diebe und »
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« einrichten (dort arbeiteten natürlich neben den Kriminellen auch nach anderen

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