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Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)

Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)

Titel: Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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Geschichte – denn man wollte Tschajka ja schicken, wohin er verlangte. So war durch die Schuld des Arbeitsanweisers Tschajkas einmonatige Erholung ein wenig verdorben. Wenn er den Arbeitsanweiser nicht nach dem Bestimmungsort der Etappe gefragt hätte, wäre alles glattgegangen.
    Das zentrale Häftlingskrankenhaus mit über tausend Betten, der Stolz der Medizin der Kolyma, lag auf dem Gebiet der Nördlichen Verwaltung. Natürlich hielten es die Diebe für ihr Gebietskrankenhaus und keineswegs für das zentrale. Die Krankenhausleitung versuchte lange Zeit, »über dem Gezerre« zu stehen und tat, als behandle sie Kranke aus allen Verwaltungen. Dem war nicht ganz so, denn die Diebe hielten die Nördliche Verwaltung für ihre Bastion und bestanden auf ihren Sonderrechten auf dem gesamten Territorium. Die Diebe setzten sich dafür ein, dass »
suki
« in diesem Krankenhaus nicht behandelt würden, in dem die Bedingungen wesentlich besser waren als irgendwo sonst, und vor allem – das zentrale Krankenhaus hatte das Recht, Invaliden für die Abreise aufs Festland »festzustellen«. Der »Einsatz« der Diebe erfolgte nicht durch Anzeigen, nicht durch Beschwerden und Bitten, sondern mit Messern. Ein paar Morde vor den Augen des Krankenhauschefs, und er kuschte und begriff, wo sein wahrer Platz in so subtilen Fragen war. Nur kurze Zeit versuchte das Krankenhaus, sich allein auf den ärztlichen Standpunkt zurückzuziehen. Wenn einem Kranken von seinem Nachbarn nachts ein Messer in den Bauch gestochen wird – wirkt das sehr überzeugend, so sehr die Leitung auch verkünden mag, dass sie nichts zu tun habe mit dem »Bürgerkrieg« innerhalb der kriminellen Welt. Die anfängliche Standhaftigkeit der Krankenhausführung und die Sicherheits-Beteuerungen täuschten einige »
suki
«. Sie stimmten der Behandlung zu, die man ihnen in ihrem Bergwerk vorschlug (vor Ort war jeder Arzt bereit, die medizinischen Dokumente auszustellen, wenn bloß das Bergwerk die Kriminellen für einige Zeit los war); der Begleitposten brachte sie ins Krankenhaus, aber nicht weiter als bis in die Aufnahme. Hier, nachdem sie die Lage erkundet hatten, forderten sie den sofortigen Rücktransport. In den meisten Fällen brachte sie derselbe Begleitposten zurück. Es gab einen Fall, in dem der Chef der Begleitposten nach einer verweigerten Aufnahme den Packen Lagerakten am Krankenhaus in einen Graben warf und, die Kranken zurücklassend, versuchte, in seinem Fahrzeug gemeinsam mit den Begleitposten zu verschwinden. Das Fahrzeug mit den Begleitposten hatte schon etwa vierzig Kilometer gemacht, als Soldaten und Wachoffiziere des Krankenhauses mit feuerbereiten Gewehren und Revolvern sie in einem anderen Fahrzeug einholten. Man brachte die Flüchtigen unter Bewachung zurück ins Krankenhaus, übergab ihnen die Menschen und die Akten und verabschiedete sich von ihnen.
    Ein einziges Mal wagten es vier »
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« – berühmte
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– in den Mauern des Krankenhauses zu übernachten. Sie verbarrikadierten die Tür des ihnen zugewiesenen separaten Krankensaals und wachten abwechselnd mit gezogenen Messern an der Tür. Am nächsten Morgen wurden sie zurückgeschickt. Das war der einzige Fall, in dem eine Waffe offen ins Krankenhaus getragen wurde – die Leitung hatte sich bemüht, die Messer in den Händen der »
suki
« nicht zu sehen.
    Gewöhnlich aber wurden die Waffen in der Aufnahme abgenommen, man machte das auf sehr einfache Weise – man zog die Kranken nackt aus und führte sie in den Nachbarraum zur ärztlichen Untersuchung. Nach jeder Etappe blieben auf dem Boden und hinter den Rücken der Bänke weggeworfene Spieße und Messer liegen. Man wickelte sogar die Verbände ab und entfernte den Gips von den Brüchen, denn die Messer wurden an den Körper gebunden und unter den Verbänden versteckt.
    Mit der Zeit kamen immer seltener »
suki
« ins zentrale Krankenhaus – praktisch hatten sich die Diebe schon gegen die Leitung durchgesetzt. Der naive Chef, der viel Schejnin und Makarenko gelesen hatte und sich insgeheim und manchmal auch offen für die »romantische« Welt der Kriminellen begeisterte (»Wissen Sie, das ist ein berühmter Dieb«, das wurde in einem Ton gesagt, dass man denken konnte, es handle sich um einen Akademiker, dem es gelungen war, das Geheimnis des Atomkerns zu entschlüsseln), hielt sich für einen Kenner der Ganovenbräuche. Er hatte vom Roten Kreuz gehört, von der Einstellung der Diebe zu den Ärzten, und das Bewusstsein

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