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Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)

Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)

Titel: Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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nach sich. Es töten natürlich nicht die Richter, es tötet der Diebesnachwuchs. Die Anführer fanden immer, dass solche »Operationen« nützlich sind für den jungen Dieb: er erwirbt Erfahrung, wird gestählt …
    Auf Dampfern und mit Zügen kamen jetzt in Magadan und Ust-Zilma nach dem Krieg verurteilte Diebe an. Die »Kriegertruppe«, diesen Namen bekamen sie später. Sie alle hatten am Krieg teilgenommen und wären nicht verurteilt worden, wenn sie nicht neue Verbrechen begangen hätten. Leute wie Woronko waren leider sehr, sehr selten. Die große, die erdrückende Mehrzahl der Diebe kehrte zu ihrem Beruf zurück. Strenggenommen hatten sie sich davon auch nicht entfernt – das Marodieren an der Front steht der Hauptbeschäftigung unserer sozialen Gruppe ziemlich nahe. Unter den »Krieger«-Ganoven gab es auch mit Orden Ausgezeichnete. Die Kriegsinvaliden unter den Ganoven fanden eine neue und sehr gute Einnahmequelle – Betteln in den Vorortzügen.
    In der »Kriegertruppe« gab es viele große »
urki
«, herausragende Persönlichkeiten dieser Unterwelt. Jetzt kehrten sie nach einigen Jahren Krieg und Freiheit zurück an ihre gewohnten Plätze, in die Häuser mit vergitterten Fenstern, in die Lagerzonen, die von Dutzenden Reihen Stacheldrahtzaun umgeben waren, sie kehrten zurück an die gewohnten Plätze mit ungewohnten Gedanken und deutlicher Unruhe. Einiges hatten sie schon besprochen in den langen Etappen-Nächten, und alle waren sich darin einig, dass sie auf die alte Weise nicht mehr leben konnten, dass in der Welt der Diebe Fragen herangereift waren, die sofortige Besprechung in den »höchsten Sphären« erforderten. Die Anführer der »Kriegertruppe« wollten die alten Kameraden treffen, die, wie sie fanden, nur der Zufall vor der Teilnahme am Krieg bewahrt hatte, die Kameraden, die all diese Kriegszeit in Gefängnissen und Lagern gesessen hatten. Die Anführer der »Kriegertruppe« malten sich die freudigen Begegnungen mit den alten Kameraden aus, Szenen zügelloser Prahlerei von »Gästen« und »Gastgebern« und schließlich ihre Hilfe bei der Entscheidung jener sehr ernsten Fragen, vor die das Leben die Kriminellen gestellt hatte.
    Ihre Hoffnungen sollten sich nicht erfüllen. Die alte Verbrecherwelt nahm sie nicht auf in ihre Reihen, und zu den »
prawilki
« wurde die »Kriegertruppe« nicht zugelassen. Wie sich zeigte, waren die Fragen, die die Ankömmlinge bewegten, in der alten Verbrecherwelt längst bedacht und besprochen. Die Antwort war keineswegs so, wie die »Krieger« gedacht hatten.
    »Du warst im Krieg? Du hast ein Gewehr in die Hand genommen? Dann bist du eine
suka
und wirst nach dem ›Gesetz‹ bestraft. Außerdem bist du ein Feigling! Du hattest nicht die Kraft, die Marschkompanie abzulehnen – eine Haftzeit zu ›kassieren‹ oder sogar den Tod, aber kein Gewehr anzufassen!«
    So antworteten den Ankömmlingen die »Philosophen« und »Ideologen« der Ganovenwelt. Die Reinheit der Ganoven-Überzeugungen, sagten sie, stehe über allem. Und man brauchte nichts zu verändern. Wenn ein Dieb ein »Mensch« sei und kein »Frischling«, müsse er mit jedem Erlass leben können – dafür sei er ein Dieb.
    Umsonst verwiesen die »Krieger« auf frühere Verdienste und forderten, sie als Autoritäten und gleichberechtigte Richter zu den »Ehrengerichten« zuzulassen. Die alten
urkagany
, die während des Kriegs das Achtel Brot in der Gefängniszelle und auch einiges andere ausgehalten haben, waren unbeugsam.
    Aber unter den Zurückgekehrten gab es ja viele wichtige Personen der Verbrecherwelt. Dort gab es genug »Philosophen«, »Ideologen« und »Anführer«. Aus dem vertrauten Milieu so umstandslos und konsequent verdrängt, konnten sie sich mit der Paria-Situation nicht abfinden, zu der sie die rechtgläubigen »
urki
« verurteilten. Umsonst verwiesen die Häuptlinge der »Kriegertruppe« darauf, dass das Zufällige und Besondere ihrer Situation in dem Moment, als man ihnen anbot, an die Front zu gehen, eine negative Antwort ausschloss. Natürlich hatte es unter den Kriminellen niemals irgendwelche patriotischen Stimmungen gegeben. Armee und Front waren ein Vorwand, freizukommen, und dann was Gott gibt. Für einen Moment waren die Interessen des Staates und die persönlichen Interessen eins – und eben dafür verantworteten sie sich jetzt auch vor ihren ehemaligen Kameraden. Außerdem entsprach der Krieg irgendwie der Liebe der Ganoven zur Gefahr und zum Risiko. An eine Umschmiedung,

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