Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)
seiner Berufung in dieses Bergwerk befand sich Doktor Krapiwnizkij dort bei guter Gesundheit.
Die geschlossene Zone, umgeben von Maschinengewehren, abgeschnitten von der ganzen restlichen Welt, lebte ihr eigenes schreckliches Leben. Die finstere Phantasie der Kriminellen hatte hier am helllichten Tage förmliche Gerichte installiert, mit Verhandlungen, mit Anklagereden und Zeugenaussagen. Mitten im Lager zerlegten die Diebe eine Pritsche und errichteten einen Galgen, und an diesem Galgen erhängten sie zwei »überführte« »
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«. All das geschah nicht bei Nacht, sondern am helllichten Tag, vor den Augen der Leitung.
Eine andere Zone dieses Bergwerks galt als Arbeiterzone. Von dort gingen die unteren Diebes-Ränge zur Arbeit. Dieses Bergwerk hatte nach der Unterbringung von Kriminellen natürlich seine Bedeutung für die Produktion verloren. Der Einfluss der Nachbarn, der nicht-arbeitenden Zone, war dort immer spürbar. Eben aus diesen Arbeiterbaracken wurde ein alter Mann ins Krankenhaus gebracht, ein
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, kein Krimineller. Er hatte, wie die mit ihm angereisten Ganoven berichteten, »respektlos mit Wassetschka gesprochen!«
»Wassetschka« war ein junger Ganove und angestammter Dieb, also einer der Anführer. Der alte Mann war doppelt so alt wie »Wassetschka«.
Vom Ton des Alten beleidigt (»der wird auch noch bissig«), befahl Wassetschka, ein Stück Zündschnur mit Zündhütchen zu besorgen. Das Zündhütchen wurde dem Alten in die Hände gelegt, die Hände zusammengebunden – zu protestieren wagte er nicht – und die Schnur angesteckt. Es riss dem Alten beide Hände ab. So teuer kam ihn ein respektloses Sprechen mit »Wassetschka« zu stehen.
Der »
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«-Krieg ging weiter. Ganz von selbst geschah das, wovor einige kluge und erfahrene Chefs die meiste Angst hatten. Immer erfahrener in den Gemetzeln – und eine Todesstrafe gab es zu jenen Zeiten für Lagermörder nicht –, setzten »
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« wie Ganoven das Messer aus beliebigen Anlässen ein, die mit dem »
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«-Krieg nicht das Geringste zu tun hatten.
Man meint, dass der Koch zu wenig oder flüssige Suppe eingegossen hat – und man stößt dem Koch einen Dolch in die Rippen und der Koch haucht seine Seele aus.
Der Arzt hat einen nicht von der Arbeit befreit – und man windet dem Arzt ein Handtuch um den Hals und erwürgt ihn …
Der Leiter der chirurgischen Abteilung des zentralen Krankenhauses warf einem berühmten Ganoven vor, dass die Diebe Ärzte umbrächten und das Rote Kreuz vergessen hätten. Wieso, heißt es, tut sich nicht der Erdboden unter ihnen auf? Den Ganoven imponiert eine Anfrage der Leitung in solchen … »theoretischen Fragen« ungeheuer. Der Ganove antwortete, sich zierend und die Worte mit dem unbeschreiblichen Ganoven-Akzent herauspressend:
»Das ist sson das Gesetz des Lebens, Doktor. Es gibt unterssiedliche Situationen. In dem einen Fall – so, und im anderen ganz verssieden. Das Leben ist unbes-tändig.«
Unser Ganove war kein schlechter Dialektiker. Es war ein zorniger Ganove. Einmal, als er im Isolator saß und ins Krankenhaus kommen wollte, hatte er sich zu Pulver zerstoßenen Kopierstift in die Augen gestreut. Man ließ ihn heraus aus dem Isolator, aber qualifizierte ärztliche Hilfe erhielt er zu spät – er erblindete für immer.
Aber die Blindheit hinderte ihn nicht, sich an der Besprechung aller Fragen in der Ganovenwelt zu beteiligen, Ratschläge zu geben und maßgebliche und verbindliche Urteile abzugeben. Wie Sir Williams in »Rocambole« lebte der blinde Ganove weiterhin sein volles Verbrecherleben. In Untersuchungen zu den »
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«-Angelegenheiten reichte sein Schuldspruch aus.
Von alters her nannte man in der Ganovenwelt einen Verräter an der Sache der Diebe, einen Dieb, der sich auf die Seite der Kriminalpolizei geschlagen hatte, eine »
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«. Im »
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«-Krieg ging es um anderes – um ein neues Gesetz der Diebe. Dennoch hielt sich für die Ritter des neuen Ordens der beleidigende Name »
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«.
Bei der Lagerleitung waren die »
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« (von den ersten Monaten dieses »
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«-Krieges abgesehen) nicht beliebt. Die Leitung hatte es lieber mit den Ganoven alten Schlages zu tun, die verständlicher, einfacher waren.
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«-Krieg entsprach einem dunklen und starken Bedürfnis der Diebe – der Wollust des Tötens, der Befriedigung der Blutgier. Der »
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«-Krieg war der Abklatsch von Ereignissen, deren Zeugen die Ganoven über einige Jahre geworden waren. Die
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