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Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)

Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)

Titel: Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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eines Berufsverbrechers außer Zweifel steht).
    Die Romanze geht in philosophischen Tönen weiter:
    Bin ein Gauner aus Odessa, Sohn der Welt der Verbrecher
    Bin ein Dieb, mich zu lieben ist schwer.
    Solln nicht besser wir beide, mein Mädchen, uns trennen
    Und uns niemals mehr wiedersehn.
    Und noch weiter:
    Sie sprechen mein Urteil, sie schicken mich weit weg,
    Weit hinaus ins sibirische Land.
    Du wirst glücklich sein und vielleicht auch reich,
    Aber ich niemals, niemals.
    Die epischen Ganovenlieder sind sehr zahlreich.
    Diese goldnen Punkte in der Ferne, sieh,
    Sehen aus wie unser Lager Solowkí.
    (
Insel Solowki
)
    Der sehr alte »Satz-und-Ratz« ist eine Art Hymne der Ganovenwelt, sehr bekannt auch in nichtkriminellen Kreisen.
    Ein klassisches Werk dieser Sorte ist das Lied »Ich weiß noch, die Nacht, eine herbstliche, finstere«. Von dem Lied gibt es viele Varianten und spätere Fassungen. Alle späteren Einfügungen und Ersetzungen sind schlechter und gröber als die erste Variante, die das klassische Bild des idealen Ganoven, eines Panzerknackers zeichnen, das von ihm gedrehte »Ding«, seine Gegenwart und Zukunft.
    Im Lied wird die Vorbereitung und Durchführung eines Bankraubs beschrieben, das Aufbrechen eines Panzerschranks in Leningrad.
    Die Bohrer, sie brummten, die stählernen, kräftigen,
    Wie zwei Hummeln brummten sie laut.
    Und schon standen sie offen, zwei Eisentürchen,
    Wo in schnurgeraden Bündeln das heißersehnte,
    Das Geld vom Regal uns anschaut.
    Der am Raub Beteiligte verlässt, nachdem er seinen Anteil bekommen hat, sofort die Stadt – in der Gestalt Cascarillas.
    Bescheiden gekleidet, ein Sträußchen im Knopfloch,
    Im grauen englischen Rock,
    Verließ ich die Hauptstadt genau um halb sieben,
    Ich blickte nicht ein Mal zurück.
    Mit der »Hauptstadt« ist Leningrad gemeint, vielmehr Petrograd, was es erlaubt, die Entstehungszeit des Liedes auf die Jahre 1914-1924 zu datieren.
    Der Held fährt in den Süden, wo er ein »Wunder der Schönheit pur« kennenlernt. Und natürlich:
    Schnell wie der Schnee ist mein Geld hingeschmolzen,
    Es blieb mir die Abreise nur.
    Mir blieb nur in Leningrad unterzutauchen,
    Ein böser und finsterer Spuk.
    Es folgt das »Ding«, die Verhaftung und die Schlussstrophe:
    Eine staubige Straße, unter strenger Bewachung,
    Jetzt bekomme ich meinen Lohn.
    Sie geben mir zehn Jahre Einzelzelle
    Oder schicken mich auf den Mond.
    All diese Werke haben eine spezifische Thematik. Zur gleichen Zeit sind in der Ganovenwelt solche vorzüglichen Lieder wie »Macht das Fenster auf, ja das Fenster, Nicht mehr lange zu leben mir bleibt« populär und finden Interpreten wie Zuhörer. Oder »Nicht weinen, mein Mädchen«, besonders in seiner Rostower, der ursprünglichen Variante. Die Romanzen »Wie schön du warst, du blaue Nacht« und »Ich denk’ an den Garten, an jene Allee« haben keinen ganovenspezifischen Text, obwohl sie unter den Dieben populär sind.
    Jede Ganovenromanze, auch die berühmte »Nicht für uns spielt der Bajan« oder »Nacht im Herbst« haben Dutzende Varianten, als ergehe es der Romanze wie dem »Róman«, der bloß noch das Gerippe, das Gerüst für die eigenen Ergießungen des Darbietenden darstellt.
    Manchmal machen die Romanzen der
frajer
eine deutliche Veränderung durch und reichern sich mit Ganovengeist an.
    So verwandelte sich die Romanze »Ach, sprechen Sie mir nicht von ihm« bei den Ganoven in die sehr lange (Gefängniszeit ist lange Zeit) »Murotschka Bobrowa«. Eine Murotschka Bobrowa kommt in der Romanze nicht vor. Aber der Ganove mag das Konkrete. Der Ganove mag auch Details in der Beschreibung.
    Die Kutsche hielt vor dem Gericht,
    Es tönte eine Stimme – los gehts
    Die Treppe hoch, von oben her
    Sich umzuschauen ist verboten.
    Die Merkmale des Ortes sind nur sparsam angegeben.
    Das Haar blondiert, die Augen schwarz,
    Sie blickte demütig zu Boden,
    Sie war wie eine Leiche blass
    Hielt ihr Gesicht im Schal verborgen.
    Der Vorsitzende sagte ihr:
    Wie ist es, Murotschka Bobrowa,
    bekennen Sie sich schuldig hier?
    Dazu erwarten wir zwei Worte.
    Erst nach dieser ins Einzelne gehenden »Exposition« folgt der gewöhnliche Text der Romanze:
    Ach, sprechen Sie mir nicht von ihm,
    Was war, es ist noch nicht vergessen –
    Etc.
    Es heißt ja, dass ich traurig bin,
    dass ich den Menschen nicht mehr glaube,
    Es heißt ja, dass ich leidend bin,
    Vielleicht mag ich bloß nicht mehr leben.
    Und schließlich die letzte Strophe:
    Und kaum dass sie geendet

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