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Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)

Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)

Titel: Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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Schürfgraben an dem Pfad, den der Brigadier entlanglief, ein Mann mit einem Brecheisen heraus. Dieser Mann erreichte den Brigadier und holte mit dem Brecheisen aus. Der Brigadier fiel mit dem Gesicht voran. Der Mann warf das Brecheisen weg und lief am Feuer vorbei, an dem Andrejew mit drei anderen Arbeitern saß. Er lief zum großen Feuer, um das sich die Begleitposten wärmten.
    Andrejew veränderte seine Haltung nicht während des Mords. Keiner der vier rührte sich vom Fleck, keiner war imstande, sich vom Feuer, von der entgleitenden Wärme abzuwenden. Jeder wollte ganz bis zum Ende sitzen, bis zu dem Moment, wo man ihn vertreibt. Aber zum Treiben war niemand da, der Brigadier war ermordet, und Andrejew war glücklich, genauso wie seine heutigen Kameraden.
    Mit einer letzten Anstrengung seines armen hungrigen Hirns, des ausgedörrten Hirns, verstand Andrejew, dass er einen Ausweg suchen musste. Das Schicksal der einarmigen Schürfer wollte Andrejew nicht teilen. Er, der sich irgendwann geschworen hatte, nicht Brigadier zu werden, suchte seine Rettung nicht in gefährlichen Lagerposten. Sein Weg war ein anderer – er wird weder stehlen, noch die Kameraden schlagen, noch sie denunzieren. Andrejew wartete geduldig.
    An diesem Morgen schickte der neue Brigadier Andrejew nach Ammonit – dem gelben Pulver, das der Sprengmeister in Papiertüten schüttete. In der großen Ammonit-Fabrik, wo das Umladen und Abfüllen des vom Festland kommenden Sprengstoffs stattfand, arbeiteten Häftlinge, Frauen – die Arbeit galt als leicht. Den dort arbeitenden Frauen drückte die Ammonit-Fabrik ihren Stempel auf. Wie von Perhydrol bekam ihr Haar einen goldenen Schimmer.
    Das Eisenöfchen in der Hütte der Sprengmeister wurde mit gelben Ammonium-Stücken geheizt.
    Andrejew zeigte den Zettel des Aufsehers, knöpfte die Steppjacke auf und wickelte sich den löchrigen Schal ab.
    »Fußlappen brauche ich, Jungs«, sagte er, »einen Sack.«
    »Sind denn unsere Säcke«, begann der junge Sprengmeister, aber der Ältere stieß seinen Kameraden mit dem Ellbogen, und er war still.
    »Wir geben dir einen Sack«, sagte der ältere Sprengmeister, »hier.«
    Andrejew nahm den Schal ab und gab ihn dem Sprengmeister. Dann zerschnitt er den Sack zu Fußlappen und wikkelte sich damit die Füße, nach Bauernart, denn es gibt auf der Welt drei Arten des Fußlappen-»Wickelns«: die bäuerliche, die Armee- und die städtische Art.
    Andrejew wickelte sie nach Bauernart und legte den Fußlappen von oben auf den Fuß. Andrejew schob die Füße mit Mühe in die
burki
, stand auf, nahm die Kiste mit dem Ammonit und ging. An den Füßen war es heiß, um den Hals kalt. Andrejew wusste, dass das eine wie das andere nicht für lange war. Er gab dem Aufseher den Ammonit und ging zurück ans Feuer. Hier musste er auf den Aufseher warten.
    Schließlich kam der Aufseher ans Feuer.
    »Lasst uns rauchen«, sagten eilig ein paar Stimmen.
    »Die einen werden rauchen, die anderen nicht«, und der Aufseher schlug den schweren Schoß des Halbpelzes zurück und holte eine Blechbüchse mit Machorka hervor.
    Erst jetzt wickelte Andrejew die Stofffetzen ab, die die
burki
hielten, und zog sich die
burki
von den Füßen.
    »Gute Fußlappen«, sagte ohne Neid jemand, dessen Füße in Lumpen steckten, und zeigte auf Andrejews Füße, die mit Stücken von festem glänzenden Sackstoff umwikkelt waren.
    Andrejew richtete sich bequemer ein, machte eine Bewegung mit den Füßen und brüllte los. Eine gelbe Flamme schoss auf. Die ammoniumgetränkten Fußlappen brannten leuchtend und langsam. Die vom Feuer erfassten Hosen und Weste schwelten. Die Nachbarn fuhren zur Seite. Der Aufseher kippte Andrejew auf den Rücken und überhäufte ihn mit Schnee.
    »Wie kannst du, du Dreckskerl!«
    »Schick nach einem Pferd. Und schreib eine Karte über den Unglücksfall.«
    »Bald ist Mittagessen, vielleicht kannst du das noch abwarten …«
    »Ich kann nicht abwarten«, log Andrejew und schloss die Augen.
    Im Krankenhaus übergoss man Andrejews Füße mit warmer Manganlösung und legte ihn ohne Verband ins Bett. Die Decke wurde auf einem Gestell befestigt – etwas wie ein Zelt. Andrejew war das Krankenhaus für lange sicher.
    Gegen Abend kam der Arzt ins Zimmer.
    »Hört zu, meine Herren Zwangsarbeiter«, sagte er, »der Krieg ist zu Ende. Vor einer Woche war er zu Ende. Der zweite Kurier aus der Verwaltung ist hier. Den ersten Kurier, heißt es, haben Flüchtige erschlagen.«
    Aber Andrejew

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