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Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)

Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)

Titel: Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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Administration«. Die Firma »Alfa« existierte noch immer.
    Über Lend-Lease kamen auch die roten Lederschuhe auf dicker Klebsohle. Diese Lederschuhe wurden nur an die Chefs ausgegeben, nicht einmal jeder Bergbaumeister konnte die Importschuhe erwerben. Für die Bergwerksleitung kamen auch Garnituren in Schachteln – Anzüge, Jakketts und Hemden samt Krawatten.
    Es heißt, man gab auch Wollsachen aus, die unter der amerikanischen Bevölkerung gesammelt wurden, doch bis zu den Gefangenen kamen sie nicht – die Ehefrauen der Chefs kannten sich mit Qualitätskleidung bestens aus.
    Dafür kam das Werkzeug gut bei den Gefangenen an. Auch das Werkzeug kam über Lend-Lease, gebogene amerikanische Schaufeln mit kurzen lackierten Stielen. Die Schaufeln waren ausgezogen – über die Form der Schaufel hatte sich jemand Gedanken gemacht. Mit den Schaufeln waren alle zufrieden. Die lackierten Schaufelstiele wurden abgeschlagen und neue angesetzt, gerade und lang, für jeden nach Maß – der Stiel sollte bis ans Kinn reichen.
    Die Schmiede plätteten die Vorderkante der Schaufel ab und schliffen sie, und wir hatten ein wunderbares Werkzeug.
    Die amerikanischen Äxte waren sehr schlecht. Das waren keine Äxte, sondern Hammerbeile wie Mayne Reeds indianische Tomahawks, und für ernsthafte Zimmermannsarbeit taugten sie nicht. Unsere Zimmerleute beeindruckten die Lend-Lease-Äxte sehr – ein jahrtausendealtes Werkzeug starb offenbar aus.
    Die Quersägen waren schwer, dick und unhandlich bei der Arbeit.
    Hervorragend war dafür das Solidol, weiß wie Butter, ohne Geruch. Die Ganoven machten den Versuch, Solidol anstelle von Butter zu verkaufen, aber es gab im Bergwerk schon niemanden mehr, der Butter hätte kaufen können.
    Die »Studebakers«, die über Lend-Lease kamen, sausten hin und her über die Steilhänge der Kolyma. Das war das einzige Fahrzeug im Hohen Norden, dem die Steigungen keine Mühe machten. Die riesigen »Diamonds«, auch über Lend-Lease, trugen neunzig Tonnen Ladung.
    Die Kranken behandelte man mit Lend-Lease – die Medikamente waren amerikanisch, und zum ersten Mal erschien das anfangs wundertätige Sulfidin . Das Laborgerät war ein Geschenk aus Amerika. Röntgenapparate, Gummiwärmflaschen und Flacons …
    Dass es mit dem amerikanischen Weißbrot bald zu Ende wäre, hatte man schon im vorigen Jahr nach dem Kursker Bogen gesagt, aber Andrejew hörte nicht auf solche »Latrinenparolen« des Lagers. Was kommt, das kommt. Ein weiterer Winter ist vergangen, und er ist noch immer am Leben – er, der niemals weiter als bis zum Abend vorausgedacht hat.
    Bald kommt das schwarze, das schwarze. Schwarzbrot. Unsere Leute gehen auf Berlin.
    »Schwarzes ist gesünder«, sagten die Ärzte.
    »Die Amerikaner sind doch wirklich Dummköpfe.«
    In diesem künftigen Bergwerk gab es keinen einzigen Radioempfänger.
    »›Die Mord-Infektion‹, wie Woronow sagte«, erinnerte sich Andrejew. Mord ist ansteckend. Wenn irgendwo ein Brigadier ermordet wird, finden sich sofort Nachahmer, und die Brigadiere finden Leute, die Wache halten, wenn der Brigadier schläft, die den Schlaf des Brigadiers beschützen. Aber alles umsonst. Der eine wurde totgeschlagen, dem anderen der Kopf mit dem Brecheisen zertrümmert und dem dritten der Hals durchgesägt mit einer Waldsäge …
    Erst vor einem Monat hatte Andrejew am Lagerfeuer gesessen – er war an der Reihe gewesen, sich zu wärmen. Die Schicht ging zu Ende, das Feuer erlosch, und vier der Häftlinge saßen von vier Seiten um das Feuer, geduckt und die Hände nach der erlöschenden Flamme, in die schwindende Wärme ausgestreckt. Jeder berührte mit den nackten Händen beinahe die glühenden Kohlen, mit den erfrorenen gefühllosen Fingern. Weißer Nebel legte sich auf die Schultern, Schultern und Rücken überlief es kalt, und umso stärker war der Wunsch, sich an das Lagerfeuer zu schmiegen, und sie hatten Angst, sich aufzurichten, zur Seite zu schauen, und sie hatten nicht die Kraft, aufzustehen und an ihre Plätze zu gehen, jeder in seinen Schurfgraben, wo sie bohrten und bohrten … Sie hatten nicht die Kraft, aufzustehen und vor dem Brigadier davonzulaufen, der schon auf sie zukam.
    Andrejew überlegte träge, womit der Brigadier ihn schlagen wird, wenn er kommt, um sich zu prügeln. Offenbar mit einem verkohlten Holzscheit, oder einem Stein … höchstwahrscheinlich mit einem Holzscheit …
    Der Brigadier war nur noch zehn Schritt vom Feuer entfernt. Plötzlich kroch aus einem

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