Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)
hörte dem Arzt nicht zu. Er hatte Fieber bekommen.
1959
Im Badehaus
In jenen üblen Scherzen, wie sie nur im Lager erfunden werden, wird das Badehaus oft »Willkür« genannt. »Die
frajer
schreien: Willkür! – der Chef treibt uns ins Badehaus«, das ist die gewöhnliche, sozusagen traditionelle Ironie der Ganoven, die alles hellhörig aufnehmen. In dieser scherzhaften Bemerkung verbirgt sich eine bittere Wahrheit.
Das Badehaus ist immer ein negatives Ereignis für die Häftlinge, das ihnen den Alltag erschwert. Diese Beobachtung ist ein weiteres Zeugnis für jene Verschiebung der Maßstäbe, für die wichtigste, die Haupteigenschaft, die das Lager dem Menschen verleiht, der dorthin gerät und dort seine Haftzeit, seinen »Termin«, wie sich Dostojewskij ausdrückte, absitzt.
Man wundert sich, wie kann das sein? Das Meiden des Badehauses – ist Gegenstand des beständigen Befremdens bei Ärzten und allen Chefs, die in diesem Badehaus-Absentismus eine Art von Protest sehen, eine Verletzung der Disziplin, eine gewisse Herausforderung des Lagerregimes. Aber Faktum ist Faktum. Und über Jahre ist das Stattfinden des Bades – ein Ereignis im Lager. Die Begleitposten werden mobilisiert, instruiert, alle Chefs beteiligen sich persönlich am Einfangen der Vermeider. Von den Ärzten ganz zu schweigen. Das Bad durchzuführen und die Wäsche in der Desinfektionskammer zu desinfizieren – das ist direkte Dienstpflicht der Sanitätsstelle. Die gesamte untere Lagerverwaltung (Älteste, Arbeitsanweiser), aus Häftlingen gebildet, lässt ebenfalls alles stehen und liegen und beschäftigt sich nur mit dem Bad. Schließlich ist auch die Produktionsleitung zwangsläufig in dieses große Problem hineingezogen. Eine ganze Reihe die Produktion betreffende Maßnahmen werden an den Badetagen (es sind drei im Monat) durchgeführt.
Und an diesem Tag sind alle vom frühen Morgen bis spät in die Nacht auf den Beinen.
Worum geht es also? Wird denn ein Mensch, in welches Elend man ihn auch getrieben hat, sich weigern, sich im Bad zu waschen, Schmutz und Schweiß von sich abzuspülen, die seinen von Hautkrankheiten zerfressenen Körper bedeckten, und sich auch nur für eine Stunde sauberer zu fühlen?
Es gibt eine russische Redensart: »Glücklich wie aus dem Badehaus«, und diese Redensart ist wahr und spiegelt genau jene physische Seligkeit, die ein Mensch mit einem sauberen, gewaschenen Körper empfindet.
Haben etwa die Leute den Verstand so weit verloren, dass sie nicht verstehen, nicht verstehen wollen, dass es ohne Läuse besser ist als mit Läusen? Und die Läuse sind zahlreich, und sie ohne Desinfektionskammer auszurotten ist fast unmöglich, besonders in den vollgestopften Baracken.
Natürlich, der Begriff der Verlaustheit erfordert Präzisierung. Ein Dutzend Läuse in der Wäsche zählen nicht. Die Verlaustheit beginnt die Kameraden wie die Ärzte dann zu stören, wenn man sie von der Wäsche fegen kann, wenn sich ein Wollpullover durch die dort eingenisteten Läuse von selbst bewegt.
Will etwa ein Mensch, wer immer er sei, sich von dieser Qual nicht befreien, die ihn nicht schlafen lässt und bei deren Bekämpfung er seinen schmutzigen Körper bis aufs Blut zerkratzt?
Natürlich will er. Aber – das erste »Aber« besteht darin, dass für das Bad keine freien Tage vorgesehen sind. Ins Bad geführt wird man nach der Arbeit oder vor der Arbeit. Und nach vielen Stunden Arbeit im Frost (und auch im Sommer ist es nicht leichter), wenn sich alle Gedanken und Hoffnungen auf den Wunsch konzentrieren, so schnell wie möglich zur Pritsche, zum Essen zu kommen und einzuschlafen – ist der Aufschub durch das Bad fast unerträglich. Das Bad liegt immer in beträchtlicher Entfernung von der Behausung. Das ist darum so, weil dieses selbe Bad nicht nur den Häftlingen dient – die Freien aus der Siedlung waschen sich ebenfalls dort, und es liegt gewöhnlich nicht im Lager, sondern in der Siedlung der Freien.
Der Aufenthalt im Bad beträgt keineswegs nur das Stündchen, das das Waschen und das Desinfizieren der Sachen braucht. Zum Waschen kommen viele, ein Trupp nach dem anderen, und alle Zuspätgekommenen (sie werden von der Arbeit direkt ins Bad geführt, ohne im Lager vorbeizugehen, denn dort laufen sie auseinander und finden einen Weg, dem Bad zu entgehen) warten im Frost, bis sie an der Reihe sind. Bei starkem Frost bemüht sich die Leitung, den Aufenthalt der Häftlinge draußen zu verkürzen – man lässt sie in den
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