Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)
Umkleideraum, in dem Platz für zehn bis fünfzehn Personen ist, und dort treibt man hundert Leute in Oberbekleidung zusammen. Der Umkleideraum ist ungeheizt oder schlecht geheizt. Alle werden durcheinandergemischt – Nackte und Leute im Halbpelz, alles drängelt, flucht und murrt. Den Lärm und die Enge nutzend, stehlen Diebe und Nicht-Diebe die Sachen der Kameraden (es sind ja andere Brigaden dabei, die woanders wohnen – das Gestohlene lässt sich niemals wiederfinden). Abgeben kann man seine Sachen nirgends.
Das zweite oder eher das dritte »Aber« ist, dass, während sich die Brigade im Bad, kontrolliert von der Sanitätsabteilung, wäscht, die Versorgung die Baracken reinigen muss – fegen, waschen, alles Überflüssige wegwerfen. Dieses Wegwerfen von Überflüssigem geschieht erbarmungslos. Aber im Lager ist ja jeder Fetzen wertvoll, und man verwendet eine Menge Energie darauf, sich Ersatzhandschuhe, Ersatzfußlappen zu beschaffen, ganz zu schweigen schon von anderem, weniger Portativem, von Lebensmitteln gar nicht zu reden. All das verschwindet spurlos und auf gesetzlicher Grundlage während des Badens. Die Ersatzsachen zur Arbeit und ins Bad mitzunehmen, ist zwecklos – sie werden vom wachsamen und scharfen Auge der Ganoven schnell entdeckt. Jedem Dieb wird man mindestens Machorka geben für irgendwelche Handschuhe oder Fußlappen.
Es ist dem Menschen eigen, dass er schnell mit kleinen Dingen umwächst, ob er ein Habenichts ist oder irgendein Preisträger – ganz gleich. Bei jedem Umzug (und nicht nur im Gefängnis) finden sich bei jedem so viel kleine Dinge, dass man sich wundert – woher konnte so viel zusammenkommen. Und diese Sachen werden dann verschenkt, verkauft und weggeworfen, bis man mit großer Mühe einen Pegel im Koffer erreicht, der das Zuklappen des Deckels erlaubt. So umwächst auch der Häftling. Denn er ist Arbeiter – er braucht eine Nadel und Stoff für Flicken, und vielleicht eine weitere alte Schüssel. All das wurde weggeworfen, und nach jedem Bad legten sich alle wieder einen »Haushalt« zu, falls sie es nicht geschafft hatten, all das vorher irgendwo tief im Schnee zu vergraben, um es einen Tag später wieder hervorzuholen.
Zu Dostojewskijs Zeiten gab man im Bad eine Kippe heißes Wasser aus (zusätzliches wurde von den
frajern
gekauft). Diese Norm hatte sich bis auf den heutigen Tag erhalten. Eine Holzkippe mit nicht sehr heißem Wasser und sengende, an den Fingern klebende Eisstücke, die in ein Fass geschüttet werden, unbegrenzt. Nur eine einzige Kippe, keinerlei zweiter Zuber, um das Wasser zu mischen, wird ausgegeben. Also muss man das heiße Wasser mit Eisstückchen kühlen, und das ist die gesamte Wasserportion, mit der der Häftling Kopf und Körper waschen muss. Im Sommer wird anstelle des Eises kaltes Wasser verteilt, immerhin Wasser und nicht Eis.
Nehmen wir an, der Häftling muss in der Lage sein, sich mit einer beliebigen Wassermenge zu waschen – von einem Löffelvoll bis zur Zisterne. Wenn er einen Löffel Wasser hat, wäscht er sich die verklebten eitrigen Augen und wird die Toilette für beendet halten. Hat er eine Zisterne, wird er die Nachbarn bespritzen, alle Augenblick das Wasser wechseln und es irgendwie verstehen, in der festgesetzten Zeit seine Portion zu verbrauchen. Für einen Becher, eine Kelle oder eine Schüssel gibt es ebenfalls eine Kalkulation und eine inoffizielle technische Instruktion.
All das zeigt den Scharfsinn bei der Lösung eines solchen Alltagsproblems wie dem des Bades. Doch natürlich löst es nicht das Problem der Sauberkeit. Der Traum, sich im Bad zu waschen – ist ein unerfüllbarer Traum.
Im Bad selbst, in dem wieder Getöse, Dampf, Geschrei und Enge (ein Geschrei wie im Bad – das ist eine gebräuchliche Redewendung) herrschen, gibt es keinerlei zusätzliches Wasser, und auch kaufen kann es niemand. Doch dort fehlt es nicht nur an Wasser. Dort fehlt es an Wärme. Die Eisenöfen sind nicht immer bis zur Rotglut geheizt, und im Bad ist es (in der großen Mehrheit der Fälle) einfach kalt. Dieses Gefühl wird verstärkt durch tausend Luftzüge durch die Türen, durch die Ritzen. Die Gebäude sind, wie alle Holzbauten, mit Moos ausgestopft, das schnell trocknet und krümelt und Löcher nach außen öffnet. Jedes Bad bedeutet die Gefahr einer Erkältung, und alle (natürlich auch die Ärzte) wissen das. Nach jedem Badetag wächst die Liste der krankheitshalber von der Arbeit Befreiten, die Liste der tatsächlich Kranken,
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