Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)
und das ist allen Ärzten bekannt.
Denken wir daran, dass die Brigaden das Holz für das Bad am Vortag selbst auf den Schultern herbeitragen, was die Rückkehr in die Baracke noch einmal um zwei Stunden hinauszögert und natürlich gegen die Badetage einnimmt.
Aber noch nicht genug. Das schrecklichste ist die Desinfektionskammer, die, gemäß der Instruktion, bei jedem Waschen obligatorisch ist.
An Unterwäsche gibt es im Lager »individuelle« und »gemeinschaftliche«. Das sind die staatlichen, offiziell üblichen Ausdrücke neben solchen Wortperlen wie »Verwanztheit«, »Verlaustheit« etc. »Individuelle« Wäsche ist neuere und bessere Wäsche, die für die Lagerbediensteten, die Vorarbeiter und andere privilegierte Häftlinge zurückgehalten wird. Die Wäsche ist nicht speziell für einen dieser Häftlinge reserviert, aber sie wird separat und sorgfältiger gewaschen und öfter durch neue ersetzt. Die »gemeinschaftliche« Wäsche ist gemeinschaftliche Wäsche. Sie wird ebendort, im Bad, nach dem Waschen ausgegeben, anstelle der schmutzigen, die übrigens getrennt und schon vorher eingesammelt und nachgezählt wird. Von einer Auswahl nach Größe kann gar keine Rede sein. Die reine Wäsche – ist eine reine Lotterie, und ich fand es immer sonderbar und zum Weinen schmerzlich, zu sehen, wie erwachsene Menschen in Tränen ausbrachen vor Kränkung, wenn sie anstelle der noch guten, schmutzigen – zerschlissene, saubere Wäsche bekamen. Nichts kann den Menschen dazu bringen, sich von jenen Unannehmlichkeiten abzuwenden, die das Leben ausmachen. Weder die klare Erwägung, dass ja alles nur bis zum nächsten Bad ist, dass im Grunde das Leben verloren ist, und was soll man da an eine Garnitur Unterwäsche denken, dass man schließlich die gute Wäsche ebenso zufällig bekommen hat – aber sie streiten sich und weinen. Das ist natürlich ein Phänomen in der Art all jener psychischen Abweichungen von der Norm, die fast jeden Schritt des Häftlings kennzeichnen, eben jene Demenz, die ein Nervenarzt die universale Krankheit nannte.
Das Seelenleben des Häftlings befindet sich an einem Punkt, an dem das Entgegennehmen der Wäsche aus einem dunklen Fensterchen, das in die geheimnisvolle Tiefe der Badegemächer führt – ein Ereignis ist, das Nerven kostet. Lange vor der Ausgabe sammelt sich die Menge der Gewaschenen vor diesem Fensterchen. Sie rechten und richten darüber, was für Wäsche das letzte Mal ausgegeben wurde, was für Wäsche vor fünf Jahren im BAM-Lager ausgegeben wurde, und sobald das Brett beiseitegeschoben wird, das das Fensterchen von innen verschließt – stürzen alle dorthin und schubsen einander mit den glitschigen, schmutzigen, stinkenden Körpern.
Die Wäsche ist bei der Ausgabe nicht immer trocken. Allzu oft wird sie nass ausgegeben – man hat nicht die Zeit, sie zu trocknen, das Holz reicht nicht aus. Und nach dem Bad nasse oder feuchte Wäsche anzuziehen, ist wohl niemandem angenehm.
Flüche prasseln auf die Köpfe der an alles gewöhnten Badewärter. Wer die feuchte Wäsche angezogen hat, dem ist endgültig kalt, aber er muss die Desinfektion seiner Kleidungsstücke abwarten.
Was ist eine Desinfektionskammer? Das ist eine ausgehobene Grube, bedeckt mit einem Balkendach und innen mit Lehm ausgestrichen, von einem Eisenofen geheizt, der vom Flur aus befeuert wird. Darin werden auf Stöcken die Steppjacken, Westen und Hosen aufgehängt, die Tür wird fest verschlossen, und der Desinfektor gibt »Hitze«. Kein Thermometer, kein Schwefel in Säckchen ist da, um die erreichte Temperatur zu prüfen. Der Erfolg hängt entweder vom Zufall ab oder von der Gewissenhaftigkeit des Desinfektors.
Bestenfalls gut gewärmt sind nur die Sachen, die in der Nähe des Ofens hängen. Die übrigen, von diesen vor der Hitze abgeschirmt, werden nur feucht, und die in der fernen Ecke hängenden holt man kalt wieder heraus. Diese Kammer tötet keinerlei Läuse. Das ist nichts als
pro forma
und eine Vorrichtung, die dem Häftling weitere Qualen bereitet.
Das wissen auch die Ärzte genau, doch sie können ja das Lager nicht ohne Desinfektionskammer lassen. Also wird nach einer Stunde Warten im großen »Umkleideraum« begonnen, einen Armvoll Sachen nach dem anderen herauszuschleppen, vollkommen gleichartige Garnituren; sie werden auf den Boden geworfen – das eigene mag sich jeder aus eigener Kraft heraussuchen. Die gedämpften, von Dampf feuchten Steppjacken, Wattewesten und Wattehosen zieht sich der
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