Kürzere Tage
probierte: harte, in Fett gebackene Schwarzbrotstreifen, die wie geschnittene Baumrinde aussahen, Fischkonserven, Rote Beete, getrocknete Pilze.
In der Kühlschranktür stehen eine Flasche von Pornostars widerlichem Gin mit Cranberrygeschmack und eine Packung Margarine. Marco schraubt den blauen Verschluß ab und trinkt, biser keine Luft mehr bekommt. Die künstliche Süße läßt sofort Speichel laufen und die Zähne schmerzen, dann fließt das Zeug mit leichtem Brennen die Speiseröhre hinunter und kleidet seinen leeren Magen mit einer wärmenden Folie aus. Er macht das Radio an. Robbie Williams röhrt. Im Schrank über dem Herd findet er eine Büchse Ravioli. Er ißt direkt aus der Dose. Kurz vor dem Blechgrund macht er schlapp. Wenn Anita und Pornostar jetzt hier wären, würde er die nach Tomatensoße und fettigem Hack schmeckende Luft leise ausströmen lassen. Aber so, allein mit Robbies Stimme und der fahlen Nachmittagssonne, die einen Streifen auf das Linoleum wirft, läßt er einen Rülpser rausknallen. Er fühlt sich gestopft, aber nicht satt. Ein paar Schlucke aus dem Wasserhahn, es schmeckt nach künstlicher Zitrone. Weiße Spritzer eingetrockneter Scheuermilch kleben im Spülbecken. Pornostar hat geputzt. Die Abtropffläche schimmert silbern. Marco sieht seinen Umriß, die Mütze sitzt noch auf dem Kopf, er schleudert sie auf einen Stuhl. Dann noch mehr Gin. Der gerillte Glasbauch der Flasche ist deutlich leerer geworden, Pornostar wird es garantiert merken. Marco muß plötzlich grinsen. Er schraubt die Flasche wieder auf und öffnet die Knöpfe seiner Cargos. Mit einem raschen Griff holt er den Penis aus der Unterhose. Er ist klein und schlapp wie eine ungebackene Teigwurst. Damals beim Schulpraktikum in der Bäckerei fühlte sich der Hefeklumpen, aus dem er Brezeln formen sollte, so ähnlich an. Warm, schlaff und wie lebendig. Marco hält seinen Schwanz in der Hand. Er wiegt fast nix. Ein ungefährliches Ding. Er kann sich nicht vorstellen, daß ein Mädchen nicht loskichern muß, wenn sie sich näher damit beschäftigt, auch wenn er deutlich anders aussehen kann. Hey Alter, es gibt Arbeit. Nichts, was dir wirklich Spaß machen würde, aber dafür in einer abgefahrenen location . Er zieht die Vorhaut zurück und drückt die Eichel auf den glatten Wulst der Flaschenöffnung. Es ist nicht ohne, kühl und klebrig, er mußschnell pissen, nachher hängt ihm die Pulle am Ständer. Er hat selten einen Ständer. Die anderen scheinen ja zu wichsen, daß ihnen die Tröten fast abfallen. Die reden dauernd darüber wie lange, wie weit, meine Fresse. Und Weiber, sie quatschen über die Weiber in der Stufe. Als ob man nicht genug Ärger hätte. Noch eine Tuss’, die wahrscheinlich genauso rumzetert wie Anita und nur Streß macht. Am besten links liegenlassen. Was nicht so einfach ist. Marco weiß, daß die Mädchen, Aysel, Sinem, Aliki und wie sie alle heißen, ihn Georg nennen, weil er diesem Tokio-Hotel-Bassisten ein bißchen ähnlich sieht. Es fühlt sich auch gut an, wie sie gackern, wenn er vorbeiläuft, aber er kann so was jetzt nicht brauchen.
Endlich kommt ein Strahl hellgelber Urin. Das künstliche Rot des Getränks verändert sich nicht. Dafür ist der alte Pegel wiederhergestellt. Die Büchse läßt er auf der Spüle stehen, der Löffel zieht eine lange Schliere Tomatensoße über den Silberglanz. Er schmeißt ein paar Ravioli dazu, sieht aus wie Teile von etwas, vielleicht Augen. Pornostar wird ausrasten. Wirklich schade, daß Marco sein Gesicht nicht mehr sehen wird, vor allem dann, wenn er sich ein Gläschen von seinem Gesöff hinter die Binde gießen will. Normalerweise würde Marco die Sauerei jetzt aufwischen, die Dose im Mülleimer verstecken, alles heimlich, wie eine Ratte, ein Schädling. Das hat er gelernt in den Jahren mit Porno. Daß es damit ab heute vorbei sein wird, fühlt sich so seltsam an, daß Marco einfach nur steht und vor sich hinstarrt, den Oberkörper leicht vorgebeugt, die Hände in den Hosentaschen. Er muß nachdenken.
Früher, als er noch Mini-Marco war, hat er sich immer den Kopf über sein Versteck zerbrochen. Sein Klamottenversteck. Das war tausendmal wichtiger als Vokabeln oder Mathe oder welche Aufgaben der beknackte Bundespräsident hat. Mini-Marco brauchte immer eine saubere Hose. Er paßte tierisch auf, spielte nichtmehr mit Fußball, ging nicht mehr zu den ›Zaunkönigen‹. Manchmal versteckte er sich sogar im Klassenzimmer im Schrank, damit kein Pauker ihn an
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