Kürzere Tage
andere Dinge bewältigt, damals. Mittags das Stück Holz im Maul und am gleichen Abend zum Tanzen gegangen. Man muß die Flasche einfach nehmen und gegen die Edelstahlspüle hauen. Über 40 Jahre hat sie ihre Küche, und die ist immer noch tipptopp. Der Flaschenhals bricht sauber ab, die grünen Glassplitter fallen ins Spülbecken, ein bißchen Wein spritzt raus. Sie gießt den hellroten Wein aus dem zackigen Schlund in die Schüssel, einen ordentlichen Schucker, nicht geizig sein. Das Wasser färbt sich hellrot.
Es fehlt noch der Lappen. Der Lappen muß feucht sein, mit Branntwein getränkt. Der Schusterin und der Näne hat man so einen über die Augen gelegt, damit sie geschlossen bleiben. Wenn man den Schnapslappen später einem Säufer heimlich in sein Glas ausdrückt, ist der von seinem Laster geheilt. Warum sollen die Augen eigentlich geschlossen sein? Es ist doch schade drum. Wenzel hat geschlafen, ist hinübergeschlafen in die Ewigkeit, so sagt man doch. Seine schönen braunen Augen. So gern hätt ich noch mal reingesehen. Wenn der Tote ein Aug offen hat oder beide, dann darfst du net reinschauen, sonst holt er dich bald. O Wenzel, schau mich an, schau mich an. Wir satteln nur um Mitternacht, weit ritt ich her von Böhmen. Ich habe spät mich aufgemacht und will dich mit mir nehmen. Ach Wenzel, erst herein geschwind! Den Hagedorn durchsaust der Wind, herein, in meinen Armen, Herzliebster, zu erwarmen!
Im Herrenzimmer steht der Cognac. Los, geh schon! Was da vorspringen konnte, das ist schon gesprungen, vorhin, als du Kaffee getrunken und gepennt hast. Da ist es gesprungen und hat deinen Wenzel geholt. Oder schon in der Nacht, als du durchgesägt hast wie ein Sack. Madensack, neben dir kann man sterben, und du merkst es nicht. Nichts hast du gespürt, niemand hat dir eine Nachricht geschickt oder eine Ahnung, keine Finsternis,keinen zerrissenen Vorhang. Allein war der Wenzel, ganz allein! Die Schlafzimmertür steht offen. Da liegt er, ihr Mann. Am seltsamsten ist, daß er schweigt und nicht die Augen in ihre Richtung dreht, als sie vorbeihastet.
Die Karaffe ist fast leer, nur noch ein Bodendecker. Fingertapser sind drauf, der Glaspfropfen läßt sich leicht rausziehen. Gestern abend war er wieder dran, hat gerochen wie das Heidelberger Faß. Das war nach dem Knall. Der Wulst der Öffnung ist verschmiert, da hat er draus getrunken. Hier war sein Mund. Luise setzt die Flasche an. Sie spürt die Schärfe und Kälte der braunen Flüssigkeit. Sie schmeckt Wenzel nicht. Der Cognac bleibt stumm. Sie stellt die Karaffe auf den Wohnzimmertisch, die gehäkelte Decke bekommt ein paar Tropfen ab. Was soll sie denn als Lappen nehmen? Etwas Schönes muß es sein. Sie kramt im Buffet, wirft alles raus. Da hinten liegen sie, lange nicht benutzt. Gestärkte Stoffservietten, mit Hohlsaum und gesticktem Monogramm, von der Traudl. Gleich zwei nehm ich raus, da kann ich ihm das Kinn hochbinden. Die Zähne sind im Bad, die darf ich nicht vergessen. Glänzender Stoff, Damast, schön sieht das aus. Das ist noch von daheeme, Wenzel, das wird dir gefallen, von deiner Schwester. Ich hab so was nie gemacht, nur Socken stopfen, das kann ich gut. Sie kippt Cognac auf die eine Serviette, der weiße Stoff färbt sich hellbraun. Es läuft auf Tischtuch und Fußboden. Egal, ich nehm den ganzen Rest, es wird keiner mehr davon trinken. Sag an, wo ist dein Kämmerlein? Wo? Wie dein Hochzeitsbettchen? Weit, weit von hier! . . . Still, kühl und klein! . . . Sechs Bretter und zwei Brettchen! – Hat’s Raum für mich? – Für dich und mich!
Die schwappende Schüssel kleckert wie verrückt. Mit dem Lappen über dem Arm geht sie daher wie eine Kellnerin. Sie muß kichern. Wenzel, ich bring dir deine Henkersmahlzeit, einen ganzen Hafen voll. Was hast du gestern abend gehabt? Dein letztes Stück Roggenbrot, hauchdünn geschnitten, mit Quark, dazuRadieschen, Kochschinken, ein kleines Bier. Das soll alles gewesen sein? Mein Gott, heute solltest du mit mir Buchteln essen, und nichts ist im Haus. Keine frische Hefe, keine Pflaumen, kein Mohn. Laß mich nur erst alles hier in Ordnung bringen, dann kann ich noch schnell zum Türken rüber. Dann ist das Essen halt ein bißle später auf dem Tisch. Wir sind doch alte Leute, uns hetzt keiner. Wir können uns Zeit lassen, gell?
Jetzt ist es zehn Uhr. Der Wecker tickt leise auf dem Nachttisch. Früher war er ihr zu laut. Jetzt ist es nur noch ein Flüstern, mit dem sich Sekunde an Sekunde reiht. Sie muß
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