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Kürzere Tage

Kürzere Tage

Titel: Kürzere Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Katharina Hahn
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dem Mosaikfußboden, 40 Grad im Schatten. Du bist überall rumgelaufen, wußtest so gut Bescheid über alles, und ich hab nix behalten. Nur das Paar auf dem Schlafzimmerboden. Die Frau hatte schon einen nackten Popo, der Mann legte seine Hand drauf.
    So stark ist deine Brust, so breit, immer noch, Schien-Wenzel. Nur das Haar drauf ist weiß geworden, die Brustwarzen sind wie zwei Sterne. Ich muß mich noch mal anlehnen an dich. Kalt bist du. Wenzel, ich muß dich jetzt waschen. Den Hals, die Schultern, die Arme. Starke Arme, komm, halt mich. Jetzt riechst du nach Wein. Weißt du noch, der Wein, den wir getrunken haben, als wir uns bei mir getroffen haben, im Kämmerle, zum ersten Mal? Das war kein Trollinger, ein Franzose war es, ein Weißwein. Aus einer Ruine hab ich ihn geholt, geklaut. Alle haben damals geklaut. Das war ein ganz teurer Wein, wir hätten ihn auch tauschen können, gegen Brot. Aber wir haben alles ausgetrunken. Jetzt wasch ich deinen Bauch. Du hast eine Fluse im Nabel, jeden Tag kann man eine drin finden, warum ist das so? Und jetzt die Hose runter, du brauchst eine frische. Da läuft alles raus aus dir. Mein Armer, ich mach dich sauber. Es ekelt sie nicht, es ist wie bei einem kleinen Kind.
    Nackt bist du jetzt. Wer kommt zu dir und ruft: Wenzel, ich sage dir, steh auf? Oder: Wenzel, Wenzel, komm heraus? Jeden Sonntag waren sie in der Marienkirche. Die zwei schwarzen steinernen Türme, die gehörten dazu, genauso wie das Rumstehen hinterher auf dem Platz, das sirrende, hohe Geschwätz des böhmischen Dialekts. Komm ock rieber! Servus, Traudl, Servus! Viele Katholen waren von daheeme. Aber sprich nur ein Wort, dann wird meine Seele gesund. Wann hat je einer zu ihr gesprochen, zu Wenzel? Welchen Glaubens bist du? Ich bin ein Christ. Warum bist du ein Christ? Darum, daß ich glaube an Jesus Christus und bin auf seinen Namen getauft. Manchmal fühlte sie sich betrogen, es schien etwas zu sein, das nur anderen passierte: Saulus, der vom Pferd fällt, geblendet von einem Lichtstrahl, der eine Stimme hören durfte: Warum verfolgst du mich? So ein armer Teufel wie sie, der sollte alles für bare Münze nehmen, ganz ohne Beweise. Wer da glaubt und getauft ist, der wird selig werden; weraber nicht glaubt, der wird verdammt werden. Sie hatten nie darüber geredet. Und sie konnte wochenlang gut leben, ohne an den Herrgott, an Jesus Christus zu denken. Ganz anders als ihre Eltern, die Näne, gar die Tante Annelies, die sogar beim Teigkneten singend ihren Glauben ausströmte: Nun danket alle Gott, mit Herzen, Mund und Händen, der große Dinge tut, an uns und allen Enden, der uns von Mutterleib und Kindesbeinen an unzählig viel zu gut, bis hierher hat getan.
    Das Katholische war ihr immer fremd geblieben. Schon beim Betreten des Raumes ekelte sie sich, wenn sie die Hand in das Weihwassertröglein an der Wand tauchen mußte. Sie dachte an die Regentonne in Uhlbach, das stehende Wasser, in dem es von Mückenlarven und Getier wimmelte. Sie führte die tropfende Hand an die Stirn und schlug das Kreuzzeichen. Vor dem Spiegel hatte sie geübt, damit sie sich nicht verhaspelte: Stirn, Brust, linke Schulter, rechte Schulter. Vor der Bank noch eine Kniebeuge zum Altar, zu dem am Kreuz verrenkten Christus und Maria, die blau und golden dastand, die Mondsichel unter dem schmalen Fuß. Warum nur trat sie auf den Mond? In jedem Eckchen stand so einer rum: Antonius, Johannes, Urban, richtige Götzenbilder. Es war ihr nicht wohl. Sie fühlte sich wie in einem fremden Tempel, einem Ort, an dem man Verbotenes tat.
    Und jetzt? Was nützt es alles? Wenzels Pater noster schepperte im Mund wie lauter Kieselsteine: Santificetur nomen tuum. Adveniat regnum tuum. Fiat voluntas tua, sicut in caelo, et in terra . Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden. Das versteht man und versteht es nicht. Sie versucht die Gebete, wie sie eine umgekippte Suppe, zusammengefahrene Milch kostet. Ist es genießbar, oder muß sie es ausspucken? Gott hat an mir nicht wohlgetan! Was half, was half mein Beten? Nun ist’s nicht mehr vonnöten.
    Ich muß dich ein letztes Mal anfassen. Das bist du, das ist deinbestes Stück. So hast du immer gesagt. Was anderes hast du nicht über die Lippen gekriegt. Unsere Mütter haben uns keine Wörter dafür beigebracht. Es gab nur die schmutzigen von der Gaß. Oder so was wie ›untenrum‹. Ich nehm ihn in die Hand, schaue ihn an. Er liegt schwer darin, wird nicht mehr darin wachsen, aufblühen. Es war immer

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