Kürzere Tage
machen bald wieder auf, und die Kinder müssen was lernen, egal, wie es drum herum aussieht!« Und er lachte so, daß sie ihm den freundlichen Pauker beinahe abnahm. Nein, ein Lehrer war der nicht! Eher ein Schwindler, zog vom Leder, wie er es geschafft hatte, trotz Zuzugssperre hierzubleiben. Aber sie waren ja alle so schlau, die Männer. Wollte wahrscheinlich auch nur irgendwo unterkriechen, Zigaretten schnorren, Suppe und Socken, ein Bett für eine Nacht. Vielleicht ein Schwarzmarkthändler, ein Zigeuner, mit diesen Augen. Aber dann hatte er ihr eine Zigarette geschenkt, und sie rauchten zusammen, auf den Stufen vor dem Haus. Am nächsten Abend kam er wieder, mit einem Glas Erdbeergsälz, führte sie ins Kino. Das Union in der Tübinger Straße spielte schon wieder. Sie hatte noch einen Pullover, flaschengrün und eng, den trug sie über dem Kleid. Und schließlich stand er jeden Tag vor derSchogladfabrik und wartete, bis sie die Treppen runterkam und unter dem steinernen Firmenwappen durchging.
Das Fenster muß sie aufmachen. Das hätte sie vorhin schon tun sollen. Damit die Seele rauskann. Wenzels Seele, wo mag sie sein? Hängt sie in der Schlafzimmerlampe? Versteckt sie sich hinter den Gardinen? Welche Farbe sie wohl hat? Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht. Die Sonne scheint jetzt. Sie scheint im Gärtle auf den Holderbaum, der seine gelben Blätter abwirft. Die Vögel schlagen sich in den schwarzen Beerendolden den Bauch voll, schad drum! Die Rapp mag das Zeug nicht pflücken und Holdersuppe mit Grießklößle kochen. Sie hat Angst vor Gift, kauft nur Bio.
Unten im Beet blühen Ringelblumen, orangegelbe Sonnen. Das sind die richtigen Blumen. Totenblumen. Die darf man nicht benutzen, wenn man orakelt: Er liebt mich, von Herzen, mit Schmerzen, ein wenig, gar nicht. Ein paar davon kommen auf den Nachttisch, daneben die Kerzen, dann ist alles gut. Das Wasser ist noch warm, sie hat es auf dem Bettvorleger abgestellt. Verdammte Fliege, wenn ich dich kriege!
Wenzel trägt seinen hellblauen Pyjama, der steht ihm gut. Dann reiß ich dir ein Bein heraus, dann wirst du operiert, mit Seife eingeschmiert. Erstmal den Cognaclappen über die Augen. Wie bist du so erbleichet, wer hat dein Augenlicht, dem sonst ein Licht nicht gleichet, so schändlich zugericht. Ich werd dir nicht mehr in die Augen schauen, mein Liebster. Mit Lumpen ausgestopft und kommst ins Grabeloch. Und dein Mund, der halb offen steht, schweigt mich an. Ich hab dir deine Zähne mitgebracht. Deine Zunge ist stumm und kalt, formt kein Wort mehr. Du hast mir deinen Namen gegeben, jetzt hab ich keinen mehr, bin kein Vogerl mehr, kein mil´acku , kein Luiserl. Die Farbe deiner Wangen, der roten Lippen Pracht ist hin und ganzvergangen; des blassen Todes Macht hat alles hingenommen, hat alles hingerafft, und so bist du gekommen von deines Leibes Kraft. Dann kommt der Männerchor, singt dir ein Liedchen vor, dann kommt der Frosch und reißt dir ab den Kopf. Dein Bart ist in der Nacht gewachsen, ich muß dich rasieren. Fingernägel werden wir nicht schneiden, das macht man nicht. Zuerst waschen und anziehen, dann rasieren und frisieren. Was willst du denn anziehen?
Luise geht zum Kleiderschrank. Wenzels Anzüge sind alle gut. Lieber ein bißle teurer, und dafür hat man lange Freude dran. Der dunkle Anzug und ein weißes Hemd. Ist es auch anständig gebügelt, keine Knicks, keine Fältchen? Unterwäsche, ein Hemd und ein Hösle. Und Socken, schwarze Socken, die sind heil, bloß nix Gestopftes. Dazu die schwarzen Schnürschuhe, die Sohlen sind noch ganz glatt, die trägst du nicht gern, zu rutschig. Da brech ich mir ja den Hals. Der Hut hängt im Garderobenschrank, den muß ich jetzt holen. Die Wege sind lang, sie keucht, aber es muß jetzt alles gemacht werden. Noch ein bißle ausbürsten, die Krempe ist staubig, so. Dein Sach kommt auf den Sessel, da hab ich es gleich bei der Hand. Und jetzt zieh ich dir den Pyjama aus. Komm, mach dich nicht so schwer. Die Knöpfle aufmachen, da sieht man gleich die Narbe über der Brust, schlecht genäht, wie ein weißer Wurm, der Granatsplitter, der dich gerettet hat vor Stalingrad. Dann der Blinddarm, 1966 im Marienhospital. Da hab ich solche Angst um dich gehabt. Dauernd sind Schüler gekommen, mit Blumen und Obst. So streng warst du nicht, gell? Unter der linken Sohle hast du noch die Stiche vom Seeigel: Sizilien, die römische Villa mit
Weitere Kostenlose Bücher