Kürzere Tage
schön, das mit dir zu tun. Sex, wie es die jungen Leute nennen. Auch wieder so ein blödes Wort, wie Handy. Ich bin gerne unter dir gelegen, immer schon. Denkst du noch an diesen Nachmittag, Ende September muß es gewesen sein. Die Sonne hat so geknallt, daß wir die Läden runtergelassen haben, und unten im Gärtle haben die beiden Buben gekreischt, weil die Rapp sie mit dem Gartenschlauch abgeduscht hat. Sicher hat keiner gedacht, daß die beiden Alten da oben im Schatten liegen, nackt, auf ihrem Ehebett, im Altweibersommer. Ja, es geht schon sehr langsam mit uns. Allein das Ausziehen dauert ewig. Aber es geht noch und ist schön, so schön wie früher. Aber anders. Ich schau nicht mehr gern in den Spiegel dabei. Ich seh dann die Alte, das Gespenst mit den runzligen Arschbacken, den Hängebrüsten. Dich mag ich noch leiden, du bist noch stark und hast diese braune Haut, die vielen Haare. Früher ging alles so schnell, da hat man nicht mal ein Bett gebraucht. Weißt du noch, auf dem Küchenboden, im Wohnzimmer, im Flur an der Wand, es gibt kaum einen Ort in dieser Wohnung, wo wir uns nicht geliebt haben. Milácku, milácku ! Schätzle heißt das bei uns. Jetzt kriegst du dein Hösle, komm. Du bist so kalt, das warme Wasser nützt nix, das ist auch schon ganz klamm geworden. Jetzt bin ich ein altes Weib, endgültig. Du hast mich immer noch gewollt, das hat keiner außer mir gewußt. Wer denkt denn das, wenn so ein altes Weib die Straße runterwackelt neben ihrem alten Mann, daß die noch was miteinander anfangen können. Ich war deine Frau, jetzt bin ich das alte Weib, keine Liebste mehr. Das Laken, das muß ich abziehen, später. Jetzt noch die Socken, komm, mein Liebster, komm.Deinen Ring, schenkst du den mir? Ich will ihn dir am liebsten lassen, er ist von mir, Luise, 9. 9. 1946. Wahrscheinlich kann man’s kaum noch lesen. Hast du ihn je abgenommen, um mich zu verleugnen? Ich hab dich nie gefragt. Die Jungen, die reden soviel, ich weiß das von der Bruni, die erzählen sich alles, beichten voreinander. Schien-Wenzel, es gab viele, denen du ins Auge gestochen bist, nicht nur der Kopka-Edith, auch aus dem Lehrerkollegium. Da gab es schicke Frauen, schlanker als ich, mit mehr Bildung, die nicht bloß die Gehaltsabrechnungen für die Schokoladenmädle tippen konnten mit zwei Durchschlägen. Wenn da je was gewesen ist, hast du es barmherzig verschwiegen. Recht getan. Dünn ist der Ring, kalt und glatt. Er paßt mir nicht, sitzt ganz lommelig. Ich muß ihn unter meinen stecken, ein Türmchen aus schlechtem Gold bauen für dich und mich. Wenzel und Luise. Was für eine winzige Hochzeit: Braut und Bräutigam, der Pfarrer und eine Handvoll Gäste, weil deine Leute alle noch »drieben« waren. Von mir waren nur die Mutter und die Tante Annelies dabei. Der Vater und die beiden Brüder gefallen, das hat die beiden so stumm gemacht, daß sie nicht mal über die katholische Trauung gemuckst haben. Und sie haben dich gemocht. Warst ja immerhin ein Lehrer, eine Respektsperson, freundlich, charmant und hilfsbereit. Luisle, ob der bei dir bleibt? Dickerle hat immerhin goldene Hochzeit gefeiert mit dem schönen Mann aus der Fremde, das haben sie alles nicht mehr erlebt.
Wenzels Arme und Beine sind steif und unnachgiebig. Sie versucht, sie umzubiegen, damit er in das Hemd, seine Anzughose kommt. Luise hört, wie die Nähte ihrer Bluse reißen. Auf der Oberlippe schmeckt sie Schweiß, fühlt ihn kitzelnd den Rücken herunterrinnen. Sie schnauft schwer. Ihr Rücken schmerzt unerträglich. Schließlich nimmt sie die Hand ihres Mannes und ruft. Es gellt laut durch das leere Zimmer, hinein in das Gesicht, das das Vertraute von Minute zu Minute verliert und immer wenigerWenzel, immer mehr jemand Unbekanntes wird. »Wenzel, loß di ozia! Wenzel, i well di ozia! Wenzel, loß di ozia ferd groß Rais!« Ihre Stimme bricht weg bei diesen letzten Worten. Sie ist nicht mehr in Uhlbach, wo die Mutter diese Sätze der steifen Schusterin und ihrer eigenen Schwiegermutter ins stille Gesicht gerufen hatte, damit die toten Glieder sich willig in den Sonntagsstaat kleiden ließen. Sie ist in der Constantinstraße, allein, und ihr Wimmern läßt Schlamper mit eingeklemmtem Schwanz im Türrahmen erscheinen.
Die Rapp putzt das Fenster. Luise kann ihr weißes Gesicht sehen, die steile Falte über der Nasenwurzel. Eine schöne Frau ist die Rapp, aber immer traurig, immer ängstlich. Gift im Essen, der tödliche Straßenverkehr, ein Winter ohne Schnee. Im
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