Kürzere Tage
Krieg haben solche es nicht geschafft. Es gab immer wieder solche, die zuviel nachdachten, die dann Schluß machten, weil sie es nicht ertrugen, die Vorstellung von dem, was kommen könnte. Die Rapp hat eine Rolle Küchenkrepp dabei und einen Eimer mit warmem Wasser. Der Dampf steigt in die kalte Herbstluft auf. Ihr Arm führt den Lumpen mit kreisenden Bewegungen über die Scheibe. Die Rapp kann Luise nicht sehen, die auf dem gestickten Stuhl im Flur hockt und den Kopf gegen den Rahmen der Wohnzimmertür lehnt. Nur der Schlamper ist für sie sichtbar. Der schläft in seinem Körble, mitten auf dem Buchara. Die Pfoten zucken leicht. Luise sieht, daß die Rapp ins Zimmer schaut, kurz den Blick schweifen läßt, sich dann wieder zurückbeugt über ihren Eimer. Der Schlamper ist müde, kein Wunder. Armer Schlamper. Soviel Aufregung heute morgen und kein richtiger Spaziergang. Zum Türken hat sie ihn gezerrt, aber er durfte ja nirgends haltmachen. Sie mußten schnell weiter, wegen der Zitrone für den Wenzel. Unters Kinn hat sie ihm die Frucht gelegt. Das ist sauber hochgebunden mit Traudls Serviette. Seine Haut ist schon fast so gelb wie die dicke duftende Schale.
Von der Markuskirche schlägt es zwei. Höchste Zeit zum Mittagessen. Nein, sie wird nichts kochen heute. Es reicht ein Schmalzbrot. Fettenschnitte sagt der Wenzel dazu. Und einen Kaffee muß sie sich machen, Kaffee und Schmalzbrot und ein paar Tabletten, damit die vermaledeiten Schmerzen endlich aufhören. Mit dem Brot kann sie sich zum Wenzel rübersetzen. Wer essend einen Toten anschaut, dem fallen die Zähne aus. Aber sie hat ja keine eigenen Zähne mehr.
Die Rapp hat längst zusammengepackt. Sicher ist sie oben bei ihren Buben. Ich hör die Glocken von der Markuskirche. Schon Viertel drei. Und ich schaff es nicht in die Küche, ich komm nicht mehr hoch. Wenzel, hilf mir doch! Vielleicht hab ich mich ja getäuscht. Vielleicht bin ich eingeschlafen und hab nur geträumt, man träumt manchmal so lebhaft. Die Prüfung an der Handelsschule, da wach ich ja heute noch schweißgebadet auf. Ich hab nur geträumt. Jetzt ruf ich ihn mal, dann hilft er mir hier aus dem Stuhl, holt mir die Tabletten und ein Glas Wasser. Wenzel! Wenzel! Wenzel!
Er sieht gut aus. Die schwarzen Schuhe sind spiegelblank geputzt, die rotblau gestreifte Krawatte schimmert auf der Brust. Und dazu das weiße Hemd. Sein Hut liegt auf dem Kopfkissen. Die Hände hat sie ihm gefaltet und einen Rosenkranz darumgeschlungen. Die Füße zeigen zur Tür, das Gesangbuch steckt unter den Fersen. Es ist sein ›Gotteslob‹, das evangelische würde er nicht wollen. Wenzel ist frisch rasiert, hat seine Zähne drin, den Cognaclappen über den Augen, das Haar mit Birkenwasser ordentlich zur Seite gekämmt. Den Kamm hat sie zerbrochen, die Waschschüssel, die einmal eine Suppenschüssel war, in Stücke geschlagen, draußen in der Küche. Auf dem Nachttisch brennen zwei rosa Kerzen. Alles ist richtig.
Luise kann sich zu seinen Füßen stellen, die Hände falten und die Worte aufsagen: »Herr, gib ihm die ewige Ruhe, das ewigeLicht leuchte ihm, laß ihn ruhen in Frieden. Amen.« Sie kommen leer über ihre Lippen, klappern heraus wie ein dummer Kinderreim:
»Verdammte Fliege,
wenn ich dich kriege,
dann reiß ich dir ein Bein heraus.
Dann wirst du operiert,
mit Seife eingeschmiert,
mit Lumpen ausgestopft
und kommst ins Grabeloch.
Dann kommt der Männerchor,
singt dir ein Liedchen vor,
dann kommt der Frosch,
und reißt dir ab den Kopf.«
Leonie
»Die Feli und die Lisa?« Janets gezupfte Augenbrauen steigen in die glatte Stirn empor. »Aber Frau Munk, Ihr Mann hat die Mädle doch schon abgeholt! Es isch gar keiner mehr hier. Ich wollt grade gehen.« Leonie schaut von Janets babyblauen Augen auf die beiden leeren Garderobenhaken. Über Lisas Namensschild grinst eine Sonne, bei Felicia hängt ein Schmetterling mit viel zu dikkem Rumpf. Die rosa Filzhausschuhe stehen ordentlich unter der Bank. Während Leonie starrt, zupft sie sich am Ohrläppchen. Das nackte Fleisch zwischen ihren Fingern läßt sie zusammenzucken. Die breite Goldcreole fehlt, an der sie spielt, wenn sie verlegen ist. Der Schenker war natürlich Simon, zum ersten Weihnachtsfest im Heumadener Häuschen. »Baby, ich bin zwar aus Heslach, aber . . .«
Ihre Hand zuckt auf die andere Seite, da baumelt die Creole an Ort und Stelle. Hat sie heute morgen im Büro nicht beide dringehabt? Verdammt! Auf Janets Gesicht macht sich inzwischen
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