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Kürzere Tage

Kürzere Tage

Titel: Kürzere Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Katharina Hahn
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ehrliche Verwirrung breit, die dazu führt, daß Leonie die Hände wieder in die Manteltaschen steckt. Ihre Finger zappeln innen weiter, Tempotaschentücher, ein Kaubonbon, sonst nichts. Sie schüttelt das Haar in den Nacken und versichert mit fester Stimme: »Ach natürlich, Simon wollte die beiden heute abholen! Ich hab einfach zuviel um die Ohren. Einen schönen Nachmittag für Sie, Janet!« Dann wirft sie sich mit dem ganzen Körper gegen die mit Papierdrachen und grinsenden Kürbissen beklebte Eingangstür und rennt zum Volvo.
    Ihr Auto ist das letzte auf dem Elternparkplatz. Es ist kurz nach vier. Die Sandkiste im Garten ist mit einer grünen Plane abgedeckt. Schaukeln und Rutsche sind regennaß, die Sonne scheint aus tiefem Stand auf die Wassertropfen an Bäumen und Gebüsch.Still hängen die kleinen Sitze an ihren kalten Ketten. Der Himmel ist von einem sehr hellen Blau, als ob dahinter schon Schneewolken stehen. Feuchte Blätter kleben auf der Windschutzscheibe. Für ein paar Augenblicke bleibt sie hinter dem Lenkrad sitzen, schließt die Augen.
    Das Handy tönt. Leonie läßt die Mailbox reden. Seit heute morgen ist sie noch kein einziges Mal rangegangen, traut sich auch nicht, die eingegangenen Anrufe abzuhören. Allein Conny ist viermal drauf. Sie will mit niemandem von der Party reden. Simon ist nicht unter den Anrufern. Er muß ja bestens zurechtgekommen sein. Keine einzige Nachfrage, wo die Strumpfhosen liegen oder was die Mädchen als Vesper mitnehmen müssen. Hoffentlich hat er keinen Apfelsaft in die Trinkflaschen gefüllt. Sie möchte ihn anrufen und anschreien.
    Gestern am frühen Abend ist sie nach Tübingen aufgebrochen, mit weißen Callas und Champagnerflasche auf dem Rücksitz und der bis zum Moment des Ausparkens genährten Hoffnung, den Fahrersitz doch noch Simon überlassen zu können. Frau Kienzle saß mit den Kindern am Küchentisch und formte mit Akkuratesse Brezeln aus Knetmasse. Sie sollte dableiben, bis Simon kam. Wahrscheinlich nutzte er die Gelegenheit, seinen abendlichen Aufenthalt in der Firma noch länger auszudehnen. Es saß ja kein rothaariges Monster zu Hause, das ihm an die Kehle fuhr, wenn er die verabredete Zeit nicht einhielt. Nur die Mädchen, nachthemdig und bloßfüßig. Der Satz »Papa hat noch zu tun« läßt ihr Gequengel nahezu magisch verstummen. Sie wissen, daß sie sich gegen sein Verschwinden nicht wehren können. Ein kurzer Anruf, ein Schein mehr in Frau Kienzles Briefumschlag, und die Sache ist geritzt. Sie glaubte seiner in den Hörer genuschelten Zusage kein Wort. »Ich bring Lisa und Feli auf alle Fälle ins Bett, bestimmt nicht um sieben, aber ich komme. Du kannst ruhig fahren, aber ich pack das nicht. Hier ist die Hölle los.« Erhatte sich nicht einmal richtig verabschiedet. Aus dem Hintergrund brach die nölende Stimme seiner Assistentin, Paula, einer blondgesträhnten Streberin, London School of Economics. Ein anderer Apparat klingelte, sie legte auf.
    Bei ihr im Büro war der Tag zum Glück ruhig gewesen. Sie hatte die Fahnen der neuen Ausgabe korrigiert, stumpfsinnig Fotos verschoben, Korrekturzeichen an die Ränder gemalt und Post-its für die Grafiker aufgeklebt, alles ohne nachzudenken. Niemand störte sie, Ende Oktober ist Streß für die meisten, Jahresabschluß, jede Menge Planungskram. Sie hat damit nichts zu tun.
    Ablenkung ist nötig, denn in Leonies Kopf läuft ›Connys Fest‹. In der Totalen kommt als erste Szene Connys entsetzter Blick, als Leonie sie in den Arm nimmt und in besoffenem Dauerfeuer Küßchen auf die erhitzten Gastgeberinnenbäckchen verteilt, dauererrötet über dem straßglitzernden T-Shirt, das die Lehrerkollegen ihr zugedacht haben: ›Ich bin 35, bitte helfen Sie mir über die Straße!‹
    »Conny, es war wirklich ein toller Abend, vielen Dank! Aber ich schlafe heute nacht woanders. Ich kriege noch was vorgelesen. Südamerikanische Literatur. Ich ruf dich an!« Bevor Conny etwas entgegnen konnte, hatte Leonie eine Drehung vollführt und in die Runde gewinkt. Auf den Barhockern und in den Sofas des ›Hexle‹ hingen die Gäste in Zwei-Uhr-morgens-Posen. Die meisten hatten ein Tannenzäpfle am Wickel und tranken mit sichtlichem Genuß direkt aus der Flasche. Aus den Boxen kam Mystify me . Manche hoben die Hand, andere lächelten. Sie fühlte sich großartig: der Rock mit neonblauem Zickzackmuster umschwang die Stiefelbeine, ein enger Pulli überspannte das klopfende Herz unter den erwartungsvollen Brüsten. Über der

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