Küss den Wolf
auch Tinka zu Wort, pikste Lula mit einem der Essstäbchen in den Bauch und zog ihr dann die Bluse runter. »Wir sind hier in einem Restaurant, schon vergessen?«
»Ach Goethe, wie langweilig«, winkte Lula ab. »Ich bevorzuge es, die Liebe zu leben, anstatt nur darüber zu lesen. Nicht wahr, Pippa? Du verstehst mich doch?« Ich nickte flüchtig.
»Und Jenny und Tinka, was ist mit euch? Gibt es nichts Spannendes von der Tanz-in-den-Mai-Party zu berichten?«
Stimmt ja, Tinka war in der Zwergen-WG eingeladen gewesen.
»Ich hatte einen äußerst amüsanten Abend mit den Jungs«, erzählte Tinka. »Alle waren da: Ju, Aleks, Ben, Felix, Leander und Sebastian und noch tausend andere Leute. Mein Cousin hat es sogar geschafft, Alka, diese indische Kellnerin, einzuladen, und sie ist auch tatsächlich gekommen.«
»Und?«, fragte ich neugierig, weil ich mir für Guido schon so lange eine nette Freundin wünschte. »Leider kein ›Und‹«, seufzte Tinka. »Aber es kann ja auch nichts werden, wenn JamieTim nicht endlich mal über seinen Schatten springt und seine Schüchternheit ablegt.«
»JamieTim?«, fragten wir alle im Chor. Tinka grinste: »Stimmt, das wisst ihr ja auch noch nicht. Mein lieber Cousin heißt seit der Party hochoffiziell JamieTim statt Guido. Er hat für das Büfett lauter Spezialitäten von Jamie Oliver und Tim Mälzer nachgekocht und alle waren so begeistert, dass Johnny D ihm diesen Spitznamen gegeben hat.«
»Ja, das passt«, meinte Jenny.
»Spitzenmäßiger Nickname«, stimmte ich zu und fragte mich gleichzeitig, wie es wohl zwischen meiner Tinkabell und Bad Boy Johnny gelaufen war. »Dann trinken wir also auf JamieTim und seine Kumpels aus der Zwergen-WG. Und was gibt’s da sonst noch Neues, außer der Namensänderung?«
»Felix zieht aus, weil er mehr in der Nähe der Uniklinik wohnen möchte«, antwortete Tinka. »Und wenn es nach mir ginge, würde ich am liebsten an seiner Stelle einziehen. Aber ich fürchte, dass sowohl meine Eltern als auch Sebastian etwas dagegen haben werden.«
»Na, das ist ja mal eine Neuigkeit«, antwortete ich gedankenverloren.
Es war schon immer Tinkas und mein Traum gewesen, eines Tages selbst in der Karolinenpassage Nummer sieben zu wohnen, weil es dort so cool war. Aber es dauerte noch ein bisschen, bis wir volljährig waren, also würden wir mit der Erfüllung dieses Traums wohl noch ein bisschen warten müssen.
Jetzt begann Jenny zu gähnen und blickte auf die Uhr. »Ich will euch ja nicht den Spaß verderben, aber wir müssen langsam mal los, schließlich schreiben wir morgen Bio. Lasst uns zahlen und nach Hause gehen.«
Als ich den Schlüssel im Schloss der Wohnungstür umdrehte, hörte ich, wie Verena telefonierte. Sie klang aufgeregt und auch ein bisschen wütend. Neugierig stellte ich mich neben sie und versuchte, aus ihren Worten herauszuhören, wer am Apparat war.
»Also ich weiß wirklich nicht, was ich dazu noch sagen soll. Wie konntest du nur so leichtsinnig sein? Ich weiß, dass du nichts von diesen Dingen hältst. Aber wie man nun sieht, ist es manchmal besser, ein bisschen vorsichtig zu sein und Vorsorge zu treffen, so spießig das jetzt auch klingt. Wenn du etwas vorausschauender gewesen wärst, wäre das Haus jetzt auch nicht in diesem katastrophalen Zustand, der dich Kopf und Kragen kosten wird. Man kann auf Dauer nicht nur in Traumwelten leben.«
Verena lief aufgeregt im Flur auf und ab.
Ich verfolgte sie mit den Augen.
Durch das Telefon hörte ich eine andere Stimme, mindestens genauso aufgeregt wie die meiner Mutter – Theodora.
»Wenn du keine andere Idee hast, würde ich vorschlagen, dass ich mich am Montag mit einem Makler in Verbindung setze. Natürlich weiß ich, wie sehr Pippa und du an dem Waldgrundstück hängen. Aber momentan sehe ich wirklich keine andere Möglichkeit als zu verkaufen, so leid es mir auch für euch beide tut…«
41.
Freitag, 7. Mai
Rotkäppchen schlug die Augen auf, und als es sah, wie die Sonnenstrahlen durch die Bäume hin und her tanzten und alles voll schöner Blumen stand, dachte es: Wenn ich der Großmutter einen frischen Strauß mitbringe, der wird ihr auch Freude machen; es ist so früh am Tag, dass ich doch zu rechter Zeit ankomme, lief vom Wege ab in den Wald hinein und suchte Blumen. Und wenn es eine gebrochen hatte, meinte es, weiter hinaus stände eine schönere, und lief danach und geriet immer tiefer in den Wald hinein.
Buschwindröschen, Himmelschlüssel, Sterndolden und
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