Küss mich Engel
zusammen mit ihrem Mann in den Ring zu treten.«
Daisys Kleid raschelte leise, als sie weiter in die Manege hineintrat. Das schmal geschnittene, ganz in jungfräulichem Weiß gehaltene Kleid reichte ihr vom Hals bis zu den Knöcheln, und kurz bevor Alex in die Arena hinausgeritten war, hatte er ihr eine rosa Papierblume angesteckt und gesagt, dass sie zu ihrem Kostüm gehöre.
Sie fühlte die Blicke des Publikums. Jacks Stimme erhob sich zusammen mit der russischen Musik, und die Zeltplanen blähten sich gemächlich in der Meeresbrise. »Theodosia, das Kind reicher französischer Aristokraten, wurde ganz von der Welt abgeschnitten - in einem Nonnenkloster erzogen.«
Nonnen? Was hatte Jack bloß vor?
Während der Ringansager fortfuhr, begann Alex mit seinem langsamen Peitschentanz, der zuvor der Höhepunkt seiner Nummer gewesen war. Daisy stand regungslos im Licht eines einzigen Scheinwerfers und sah ihm zu. Die Beleuchtung wurde gedämpfter, und während die Zuschauer Jacks Geschichte lauschten, starrten sie fasziniert auf Alex‘ anmutige Bewegungen.
»Sie traf den Kosaken, als der Zirkus in einem Städtchen nahe dem Kloster gastierte, in dem sie lebte, und die beiden verliebten sich auf den ersten Blick ineinander. Doch ihre Eltern rebellierten dagegen, dass ihre wohlerzogene Tochter einen Mann heiraten wollte, den sie für einen Barbaren hielten, und sie enterbten sie. Theodosia musste alles Gewohnte zurücklassen.«
Die Musik wurde dramatischer, und Alex‘ Peitschentanz wandelte sich von einem athletischen Kraftakt in einen sinnlichen Brautwerbungstanz. »Und jetzt, Ladies und Gentlemen, geht sie zusammen mit ihrem Mann in den Ring, aber es ist nicht leicht für sie. Diese junge Frau hat schreckliche Angst vor der Peitsche, und wir möchten Sie daher bitten, so ruhig wie möglich zu sein, während sie sich ihren schlimmsten Ängsten entgegenstellt. Vergessen Sie nicht, dass sie die Arena mit nur einem Schutzschild betritt« - Alex‘ Tanz erreichte seinen Höhepunkt - »nämlich ihrer Liebe zu ihrem wilden Kosaken.«
Die Musik brach nach einem wilden Crescendo ab, und Alex ließ die Peitsche ohne Vorwarnung in einem dramatischen Schwung über dem Kopf knallen. Sie stieß einen erstickten Schrei aus und lies das Papierröhrchen fallen, das sie soeben aus einer verborgenen Tasche geholt hatte, die ihr Sheba erst vor wenigen Stunden in ihr Kostüm genäht hatte.
Das Publikum rang nach Luft, und sie erkannte, dass Jacks übertriebene Geschichte funktionierte. Anstatt sie auszulachen, litt das Publikum mit ihr.
Zu ihrer Überraschung ging Alex zu ihr, hob das Röhrchen auf und überreichte es ihr, als hielte er eine einzelne Rose in der Hand. Dann senkte er den Kopf und hauchte ihr einen Kuss auf den Mund.
Seine Geste war so romantisch, dass sie beinahe sicher glaubte, eine Frau in der ersten Reihe seufzen gehört zu haben. Sie selbst hätte ebenfalls geseufzt, wenn sie nicht gewusst hätte, dass er lediglich eine Show fürs Publikum abzog. Mit zitternden Fingern hielt sie danach das Röhrchen so weit ausgestreckt, wie sie nur konnte.
Sie schaffte es, nicht die Fassung zu verlieren, als er es Stück für Stück abschnitt, doch als der Trick mit dem Mund an die Reihe kam, fingen ihre Knie wieder an zu zittern. Sie steckte das Röhrchen zwischen die Lippen, schloss die Augen und wandte ihm ihr Profil zu.
Die Peitsche knallte, und ein Ende flog ab. Sie ballte ihre herunterhängenden Hände zu Fäusten. Falls sie geglaubt hatte, dass es vor einem Publikum leichter werden würde, dann sah sie sich nun getäuscht.
Er knallte noch zweimal mit der Peitsche, bis nur noch der Stummel zwischen ihren Lippen steckte. Ihr Mund war so trocken, dass sie kaum schlucken konnte.
Jacks dramatisch gesenkte Stimme unterbrach sie. »Ladies und Gentlemen, ich bitte Sie um Ihre Unterstützung bei Alexis letztem Versuch, das kleine Papierröhrchen, das im Mund seiner jungen Frau steckt, abzuhacken. Er braucht dazu absolute Ruhe. Vergessen Sie nicht, dass die Peitsche so nahe am Gesicht seiner Frau vorbeischnellen wird, dass schon die kleinste Fehlkalkulation ihr eine schwere Gesichtsnarbe zufügen könnte.«
Daisy wimmerte. Ihre Fingernägel gruben sich so fest in ihre Handflächen, dass sie fürchtete, sich verletzt zu haben.
Der Knall der Peitsche explodierte in ihren Ohren, während Alex auch den letzten Stummel abhackte.
Die Menge brach in tosenden Jubel aus. Daisy riss die Augen auf. Ihr war so schwindlig, dass sie
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