Küss mich Engel
einem Zelt angebunden sein zu müssen. Sie planten für den nächsten Vormittag einen dringend nötigen Ausflug zum Waschsalon, und Alex sprach davon, beim Pickup einen Ölwechsel vornehmen zu müssen. Sie hätten gut und gerne ein ganz gewöhnliches Ehepaar sein können, dachte sie, das seinen Alltag teilt, und sie konnte ein Gefühl der Hoffnung, dass sich doch noch alles zum Guten wenden würde zwischen ihnen, nicht ganz unterdrücken.
Er sagte, er würde das Geschirr waschen, wenn sie dablieb, um ihm Gesellschaft zu leisten, dann beschwerte er sich gutgelaunt über die riesige Anzahl von Töpfen und Pfannen, die sie benutzt hatte. Während er sie neckte, nahm eine Idee in ihrem Gehirn Gestalt an.
Alex hatte zwar offen über seine Romanov-Abstammung mit ihr geredet, ihr aber immer noch nichts über sein jetziges Leben erzählt, was ihr weit wichtiger war. Bevor er ihr nicht sagte, was er tat, wenn er nicht mit dem Zirkus herumreiste, gab es kein wirkliches Verständnis zwischen ihnen. Aber sie wusste nicht, wie sie an die Wahrheit herankommen sollte, außer durch Schwindel. Aber vielleicht war ein wenig Schwindel ja gar nicht so schlimm, wenn ihrer beider Glück auf dem Spiel stand.
»Alex, ich glaub, ich krieg eine Ohrenentzündung.«
Er hielt sofort inne und blickte sie so besorgt an, dass sie ein schlechtes Gewissen bekam. »Dein Ohr tut weh?«
»Ein bisschen. Nicht schlimm. Bloß ein bisschen.«
»Wir werden einen Arzt aufsuchen, sobald die letzte Vorstellung vorbei ist.«
»Aber dann haben die Praxen doch schon geschlossen.«
»Dann bring ich dich zur Notaufnahme eines Krankenhauses.«
»Ach nein, das will ich nicht. So schlimm ist es nicht, da bin ich mir sicher.«
»Ich will nicht, dass du mit einer Ohrenentzündung rumläufst.«
»Ich glaub, du hast recht.« Sie zögerte, weil sie wusste, dass nun der schwierigste Teil kam. »Aber ich hab eine andere Idee«, sagte sie vorsichtig. »Könntest du - wär‘s möglich, dass du dir das Ohr mal ansiehst?«
Er verharrte vollkommen regungslos. »Du willst, dass ich‘s mir ansehe?«
Die Schuldgefühle breiteten sich in ihrem ganzen Körper aus. Sie senkte den Kopf und spielte mit einem Zipfel ihrer Papierserviette. Gleichzeitig musste sie daran denken, wie er wegen der Tetanusimpfung in sie gedrungen war, und auch, wie oft sie schon gesehen hatte, wie er einen Arbeiter verarztete. Sie hatte das Recht, die Wahrheit zu erfahren.
»Ich nehme an, dass du, egal, worauf du spezialisiert bist, eine einfache Ohrenentzündung behandeln kannst. Außer du bist tatsächlich ein Tierarzt.«
»Ich bin kein Tierarzt.«
»Also dann ...«
Er sagte gar nichts. Sie saß angespannt da, rückte den Honigtopf mit dem Klee zurecht und auch Salz- und Pfefferstreuer. Sie zwang sich, daran zu denken, dass dies zu seinem eigenen Besten geschah. Ihre Ehe konnte nicht funktionieren, solange er so viele Geheimnisse vor ihr hatte.
Sie hörte, wie er sich regte. »Also gut, Daisy. Ich seh‘s mir mal an.«
Ihr Kopf schoss hoch. Sie hatte es geschafft! Sie hatte ihn endlich doch noch in die Falle gelockt. Mit aller Durchtriebenheit, derer sie fähig war, war es ihr gelungen, ihm die Wahrheit zu entlocken. Ihr Mann war ein Arzt, und sie hatte ihn gerade dazu gebracht, es zuzugeben.
Sie wusste, dass er ärgerlich sein würde, wenn er sie untersuchte und sah, dass sie gar keine Ohrenentzündung hatte, aber damit wurde sie schon fertig, wenn es soweit war. Ganz sicher konnte sie ihm begreiflich machen, dass sie es nur zu seinem Besten getan hatte. So viel Geheimniskrämerei war nicht gut für ihn.
»Komm, setz dich aufs Bett«, sagte er. »Neben die Lampe, wo ich dich besser sehen kann.«
Sie tat, wie ihr geheißen.
Er trocknete sich umständlich die Hände ab, bevor er das Geschirrtuch beiseite legte und zu ihr kam.
»Brauchst du nicht deine Arzttasche?«
»Sie ist im Kofferraum, und ich hab keine Lust, wieder nass zu werden, wenn‘s nicht unbedingt sein muss. Im übrigen kann man eine Ohrenentzündung auf mehr als nur eine Art feststellen. Welches Ohr ist es?«
Sie zögerte eine Sekunde zu lang, dann wies sie auf ihr rechtes Ohr. Er strich ihr das Haar zurück und beugte sich vor, um es sich anzusehen.
»Das Licht reicht nicht aus. Leg dich zurück.«
Sie legte den Kopf aufs Kissen. Die Matratze hob sich, als er sich neben sie setzte und die Hand um ihren Hals legte. »Schluck mal.«
Das tat sie.
Seine Fingerspitzen drückten ein wenig stärker. »Noch mal.«
Sie
Weitere Kostenlose Bücher