Küss mich Engel
hatte. Sie schätzte, dass sie so etwa zweieinhalb Monate schwanger war, doch sie hatte bis jetzt noch keinen Arzt aufgesucht, weil sie nicht riskieren wollte, dass Alex ihr draufkam. Die Tatsache, dass sie wie ein Luchs auf ihre Gesundheit achtete, war keine Entschuldigung dafür, keine ärztliche Betreuung in Anspruch zu nehmen, noch dazu, wo sie nicht einmal wusste, ob das Baby möglicherweise durch die Anti-Baby-Pillen geschädigt worden war, die sie ja weiterhin eingenommen hatte, bevor sie merkte, dass sie versagt hatten und sie schwanger war.
Sie schob die Finger in die Taschen ihrer Jeans und fällte ihre Entscheidung. Kein Hinauszögern mehr, damit war jetzt Schluss. Er war im Moment ohnehin unerträglich, also was machte es für einen Unterschied? Bis heute Abend würde sie es ihm gesagt haben. Es hatte zwei Leute gebraucht, um dieses Baby zu machen, und es war an der Zeit, dass sie beide auch die Verantwortung dafür übernahmen.
Sobald die Nachmittagsvorstellung vorüber war, machte sie sich auf die Suche nach ihm, aber sein Pickup war weg. Jetzt wurde sie allmählich nervös. Nachdem sie es so lange hinausgeschoben hatte, wollte sie es nun so schnell wie möglich hinter sich haben.
Ihre nächste Chance hätte sich beim Abendessen bieten sollen, doch Alex‘ Probleme mit dem Beamten vom Gesundheitsamt hielten ihn bis kurz vor der Abendvorstellung fest. Jetzt trat sie zum Hintereingang des Zelts, um auf ihren Auftritt zu warten, und sah ihn neben Mischa stehen, der lose an einem Pfahl festgebunden war. Eine Peitsche hing ihm aufgerollt von der Schulter, der Griff baumelte vor seiner Brust. Der Abendwind fuhr ihm durchs Haar, und das schwindende Licht warf dunkle Schatten über seine Züge.
Keiner war bei ihm. Es war, als hätte er einen unsichtbaren Kreis um sich und seinen Hengst gezogen, einen Kreis, der die ganze Welt ausschloss, einschließlich sie selbst. Ganz besonders sie selbst. Die roten Pailletten auf seiner Schärpe funkelten, als er mit der Hand über die Flanken des Pferdes strich, und ihre Frustration wuchs. Warum musste er bloß so schrecklich sturköpfig sein?
Sie näherte sich ihm, während das Publikum drinnen in Gelächter und Applaus über die Späße der Clowns ausbrach. Mischa schnaubte und warf den Kopf hoch. Sie beäugte das Pferd ängstlich. Egal, wie oft sie die Nummer auch machte, sie würde sich nie daran gewöhnen, und das galt insbesondere auch für jenen schrecklichen Moment, wenn Alex sie vor sich auf den Sattel hob.
Sie blieb in sicherer Entfernung von dem Pferd stehen. »Glaubst du, du könntest jemand finden, der für dich einspringt, nach der Vorstellung? Wir müssen miteinander reden.«
Er hielt ihr den Rücken zugewandt, während er den Sattelgurt justierte. »Das muss warten. Ich hab zuviel zu tun.«
Sie war am Ende ihrer Geduld. Wenn sie nicht bald anfingen, über ihre Probleme zu reden, würden sie nie die Art von Ehe führen können, die sie beide brauchten. »Was immer es ist, es kann warten.«
Mit aufbauschenden Ärmeln fuhr er zu ihr herum. »Schau, Daisy, wenn‘s um die Sache mit dem Tanken geht, dafür hab ich mich doch schon entschuldigt. Ich weiß, dass mit mir in letzter Zeit nicht gut Kirschen essen ist, aber ich hab auch eine harte Woche hinter mir.«
»Von denen hattest du schon viele, aber bisher hast du‘s noch nie an mir ausgelassen.«
»Wie oft soll ich mich denn noch entschuldigen?«
»Hier geht es nicht um Entschuldigungen. Es geht um die Gründe, warum du mich von dir wegschiebst.«
»Lass gut sein, ja?«
»Das kann ich nicht.« Die Clownsnummer ging dem Ende zu, und sie wusste, dass das nicht der richtige Zeitpunkt zum Reden war, aber nun, da sie einmal angefangen hatte, konnte sie nicht mehr aufhören. »Wir befinden uns auf einer emotionalen Achterbahnfahrt und leiden beide darunter. Wir beide haben eine Zukunft, und wir müssen darüber reden.«
Sie berührte seinen Arm und erwartete schon, dass er ihn wegziehen würde, doch als er dies nicht tat, fand sie den Mut fortzufahren. »Die letzten Monate waren die glücklichsten meines Lebens. Du hast mir dabei geholfen, rauszufinden, wer ich wirklich bin, und vielleicht hab ich dir ja ähnlich geholfen.«
Sie legte sanft die Hände auf seine Brust und spürte seinen Herzschlag durch das dünne Seidenhemd. Die Papierblume zwischen ihren Brüsten raschelte leise, und der Peitschengriff stieß gegen ihre Hand. »Ist es nicht das, worum es in der Liebe geht? Dass man vereint besser
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