Küss mich Engel
an und entschied sich, auf eine Erwähnung der Peitschen, die er unter seinem Bett verstaut hielt, zu verzichten. »Man kann einfach nicht mit dir reden.«
Er rückte die Sonnenklappe zurecht. »Was ich dir begreiflich zu machen versuchte, bevor du mich mit deiner Analyse meines Charakters unterbrochen hast, ist, dass keiner von uns es schaffen wird, sechs Monate lang in Keuschheit zu leben.«
Sie senkte den Blick. Wenn er bloß wüsste, dass sie das schon ihr Leben lang tat.
»Wir leben auf engstem Raum zusammen«, fuhr er fort. »Wir sind legal verheiratet, da ist‘s doch nur natürlich, dass wir was miteinander anfangen.«
Etwas miteinander anfangen ? Seine Offenheit rief ihr in Erinnerung, dass ihm das alles im Grunde gar nichts bedeutete, und entgegen aller Logik hatte sie gehofft, dass er etwas Romantisches sagen würde. Etwas pikiert meinte sie: »Mit anderen Worten, du erwartest also von mir, dass ich die Hausarbeit mache, im Zirkus arbeite und ›was mit dir anfangen«
Er dachte darüber nach. »Ja, das wär‘s wohl im großen und ganzen.«
Sie wandte den Kopf ab und starrte trübsinnig aus dem Seitenfenster. Aus diesem »Umstand« einen Erfolg zu machen würde schwerer werden, als sie es sich vorgestellt hatte.
5
Als Daisy an diesem Nachmittag aus dem Trailer kam, traf sie auf eine große Blondine mit einem Äffchen auf der Schulter. Sie erkannte sie aus der gestrigen Abendvorstellung als Jill, von Jill and Friends , einer niedlichen Hunde- und Äffchennummer. Sie besaß ein rundes Gesicht, eine wunderschöne Haut und Haare, die ein wenig strapaziert aussahen von den vielen Dauerwellen, ein Problem, bei dem Daisy ihr, wie sie wusste, helfen konnte, wenn sie die Gelegenheit dazu bekam.
»Willkommen bei Quest Brothers«, sagte die Frau. »Ich bin Jill.«
Daisy erwiderte ihr freundliches Lächeln. »Ich bin Daisy.«
»Ich weiß. Heather hat‘s mir gesagt. Das ist Frankie.«
»Hallo, Frankie.« Daisy nickte dem Äffchen auf Jills Schulter höflich zu, sprang jedoch zurück, als es auf einmal sein gesundes Gebiss fletschte und sie schrill ankreischte. Sie war sowieso schon nervös vor lauter Nikotinmangel, und die Reaktion des Äffchens brachte sie noch mehr aus dem Gleichgewicht.
»Still, Frankie.« Jill tätschelte sein pelziges Beinchen. »Ich weiß nicht, was mit ihm los ist. Normalerweise mag er Frauen sehr.«
»Tiere sind nicht gerade wild auf mich.«
»Weil du wahrscheinlich Angst vor ihnen hast. Das spüren sie immer.«
»Da hast du sicher recht. Als ich sechs Jahre alt war, bin ich mal von einem deutschen Schäferhund gebissen worden, seitdem hab ich eine Heidenangst vor Tieren.« Der deutsche Schäferhund war nicht der einzige gewesen. Sie musste an einen Zoobesuch denken, den sie einmal mit ihrer Schulklasse gemacht hatte, als sie sechs war. Sie hatte einen hysterischen Anfall bekommen, als eine der Ziegen im Streichelzoo an ihrer Schuluniform zu knabbern anfing.
Eine Frau in ausgebeulten schwarzen Shorts und einem weiten T-Shirt schlenderte herbei und stellte sich als Madeline vor. Daisy erkannte sie als eins von den Showgirls, die auf Elefanten in die Arena geritten kamen. Als sie ihre legere Kleidung sah, kam sich Daisy auf einmal ein wenig overdressed vor. Sie wollte hübsch aussehen an ihrem ersten Tag am Ticketschalter, also hatte sie sich eine cremeweiße Seidenbluse und ihre perlgraue Donna-Karan-Hose angezogen anstelle der Discount-Jeans und T- Shirts, die ihr Alex unbedingt noch hatte kaufen wollen, bevor sie heute morgen am Zeltplatz eintrafen.
»Daisy ist Alex‘ neue Freundin«, sagte Jill.
»Hab ich gehört«, erwiderte Madeline. »Du Glückliche. Alex ist ein Prachtstück von Mann.«
Sie machte schon den Mund auf, um den Frauen zu sagen, dass sie Alex‘ Frau war, nicht seine Freundin, schrak jedoch zurück, weil Frankie sich gerade diesen Moment aussuchte, um sie erneut anzukreischen.
»Sei still, Frankie.« Jill reichte dem Äffchen einen kleinen Apfel und blickte Daisy dann mit der unverhüllten Freude eines Menschen an, der nichts lieber hat als einen guten Tratsch und Klatsch. »Das mit dir und Alex muss ‘ne ernste Sache sein. Hab noch nie gehört, dass er jemanden bei sich hat einziehen lassen.«
»Sheba kriegt ‘nen Anfall, wenn sie wiederkommt.« Madeline sah aus, als würde ihr diese Aussicht gefallen.
Frankie starrte Daisy an, was diese so nervös machte, dass es ihr schwerfiel, der Unterhaltung zu folgen. Zu ihrem Schrecken hob sich Jill das
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