Küss mich Engel
Ich hab nie auch nur einen Moment geglaubt, dass er die Kellnerin wirklich umgebracht hat.«
Alex, der sich gerade wieder beruhigt hatte, verschluckte sich noch mal. Kimberley wich zurück. »Ich - äh, entschuldigen Sie mich. Die Gäste warten.«
»Gehen Sie nur«, erwiderte Daisy fröhlich. »Und Gott segne Sie!«
Alex bekam seinen Hustenanfall endlich unter Kontrolle. Er drückte sich aus der Sitznische heraus. Sein Gesicht war womöglich noch finsterer als gewöhnlich. Bevor er auch nur ein Wort sagen konnte, presste sie ihm sanft einen Finger auf die Lippen.
»Bitte verdirb‘s mir nicht, Alex. Das ist das erste Mal seit unserer Hochzeit, dass du den kürzeren gezogen hast, und ich will jede Sekunde davon genießen.«
Er sah aus, als wollte er sie erwürgen. Doch statt dessen warf er ein paar Dollarscheine auf den Tisch und zog sie aus dem Restaurant.
»Du bist jetzt ganz schön knatschig wegen dieser Sache, stimmt‘s?« Ihre Sandalen rutschten auf dem Kies aus, während er sie zum Wagen mit dem hässlichen grünen Trailer zerrte. »Wusste ich‘s doch. Du bist der knatschigste Mann, der mir je untergekommen ist. Steht dir gar nicht, Alex. Wirklich nicht. Ob du nun willst oder nicht, du bist ein verheirateter Mann und solltest wirklich nicht -«
»Steig ein, bevor ich dir den Hintern versohle.«
Schon wieder diese enervierende Droherei. Hieß das nun, dass er sie nicht verhauen würde, wenn sie tat, was er sagte, oder dass er einfach vorhatte, sie im stillen Kämmerlein zu versohlen? Sie grübelte noch darüber nach, als er auch schon den Wagen anließ. Einen Augenblick später befanden sie sich wieder auf der Schnellstraße.
Erleichtert stellte sie fest, dass das Thema Versohlen nicht mehr zur Sprache kam, obwohl sie andererseits beinahe enttäuscht darüber war. Wenn er sie physisch bedroht hätte, hätte sie einen Grund gehabt, ihre heiligen Gelübde zu brechen, ohne dass sie ihr Gewissen zwacken musste.
Der Vormittag war schön und sonnig, und die warme, aber noch nicht zu warme Luft wehte durchs halboffene Fenster, Sie sah keinen Grund dafür, sich einen wundervollen Vormittag mit Geschmolle verderben zu lassen, also brach sie schließlich das Schweigen. »Wohin fahren wir?«
»Wir haben ‘ne Verabredung in der Nähe von Greenwood.«
»Ich nehme an, dass das nicht die Art Verabredung ist, in der man Essen und hinterher Tanzen geht.«
»Fürchte nicht.«
»Wie lange bleiben wir da?«
»Bloß ‘ne Nacht.«
»Ich hoffe, dass wir morgen nicht wieder so früh aufstehen müssen.«
»Noch früher. Wir haben ‘ne längere Fahrt.«
»Ach du Schreck.«
»So läuft‘s nun mal im Wanderzirkusgeschäft.«
»Willst du damit sagen, dass es jeden Morgen so läuft?«
»An manchen Plätzen bleiben wir auch zwei Tage lang, aber das sind nicht viele.«
»Wie lang dauert diese Saison?«
»Der Zirkus ist bis Oktober ausgebucht.«
»Das sind ja noch sechs Monate!« Vor ihrem geistigen Auge erschien eine ihr endlos scheinende Parade von Tagen mit verrutschtem Eyeliner. Sechs Monate. So lange, wie ihre Ehe dauern sollte.
»Worüber machst du dir Sorgen?« erwiderte er. »Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass du‘s so lange aushältst, wie?«
»Du glaubst nicht, dass ich‘s könnte?«
»Sechs Monate sind ganz schön lang, und die hier ganz besonders«, sagte er mit unübersehbarer Genugtuung. »Wir müssen Riesenstrecken zurücklegen. Der Zirkus wird bis nach Jersey rauffahren und im Westen bis Indiana.«
In einem Pickup ohne Air Conditioning.
»Das ist Quest Brothers letzte Saison«, sagte er, »also sind wir gut ausgebucht.«
»Was meinst du, die letzte Saison?«
»Der Besitzer ist im Januar gestorben.«
»Owen Quest? Der Name, der auf den Zirkuswagen steht?«
»Genau. Seine Frau Bathsheba hat den Zirkus geerbt, will ihn aber verkaufen.«
Bildete sie sich das nur ein, oder hatte er den Mund beinahe unmerklich zusammengekniffen? »Bist du schon lang beim Zirkus?« fragte sie, fest entschlossen, mehr über ihn zu erfahren.
»Immer mal wieder.«
»Waren deine Eltern auch beim Zirkus?«
»Welche? Meine kosakischen Stiefeltern oder die, die mich in Sibirien ausgesetzt haben?« Er neigte den Kopf zur Seite, und sie sah, dass seine Augen funkelten.
»Du bist nicht bei Kosaken aufgewachsen!«
»Du hast gestern Abend wohl nicht richtig zugehört.«
»Das war nichts wie Humbug, um Zuschauer anzulocken. Ich weiß, dass dir jemand das Reiten und Peitschenschwingen beigebracht haben muss, aber
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