Küss mich Engel
vorn.
»Sie hatte jede Menge Zeit, das Geld loszuwerden. Warum durchsuchst du nicht den Trailer, und ich seh mal in deinem Pickup nach?«
Alex nickte, und Sheba ging. Daisy fing an, mit den Zähnen zu klappern, obwohl es eine warme Nacht war. Es verriet eine Menge über das Verhältnis zwischen Alex und Sheba, dass sie einander, zumindest in dieser Sache, vertrauten. Keiner von beiden jedoch vertraute ihr.
Daisy sank auf die Couch und schlang die Arme um ihre Knie, damit sie aufhörten zu zittern. Sie sah nicht zu, wie Alex die Schränke und Fächer und ihre Sachen durchsuchte. Ein Gefühl von Unausweichlichkeit überkam sie. Sie konnte sich nicht mehr daran erinnern, wie es sich anfühlte, die Kontrolle über ihr eigenes Leben zu haben. Vielleicht hatte sie das ja nie gehabt. Zuerst hatte sie sich den Wünschen ihrer Mutter gebeugt, dann denen ihres Vaters. Und nun hatte dieser gefährliche neue Ehemann ihr Leben in seine Hand genommen.
Das Rascheln verstummte. Eine schwere Stille legte sich über den Raum. Sie starrte auf das Muster des alten, abgelaufenen Teppichs. »Du hast das Geld gefunden, stimmt‘s?«
»Ganz unten in deinem Koffer, dort, wo du‘s versteckt hast.«
Sie blickte auf und sah ein offenes Säckchen zu seinen Füßen liegen. Ein kleiner Stapel zusammengefalteter Geldscheine lag auf seiner Handfläche. »Jemand hat‘s dahin getan. Ich hab‘s nicht versteckt.«
Er steckte das Geld in seine Tasche. »Hör auf, Spielchen zu spielen. Du bist ertappt. Hab zumindest den Mut, die Wahrheit zu sagen und die Konsequenzen zu ziehen.«
»Ich hab das Geld nicht gestohlen. Jemand will mir was anhängen.« Für Daisy war es offensichtlich, dass Sheba dahintersteckte. Alex musste das doch auch sehen. »Ich hab‘s nicht getan! Du musst mir glauben.«
Ihre Worte erstarben, als sie seine fest zusammengebissenen Kiefer sah und erkannte, dass sie nichts tun konnte, um ihn umzustimmen. Resigniert sagte sie: »Ich werd jetzt aufhören, mich zu verteidigen. Ich hab die Wahrheit gesagt, und mehr kann ich nicht tun.«
Er ging zu dem Stuhl, der vor ihr stand, und setzte sich. Er sah müde aus, aber lange nicht so, wie sie sich fühlte. »Holst du jetzt die Polizei?«
»Wir kümmern uns selbst um unsere Probleme.«
»Und du bist hier der Richter.«
»So läuft‘s hier.«
Ein Zirkus sollte eigentlich ein Ort der Magie, des Zaubers sein, doch alles, was sie gefunden hatte, waren Misstrauen und Zorn. Sie starrte ihn an, versuchte, hinter seine undurchdringliche Fassade zu blicken. »Und wenn du nun einen Fehler machst?«
»Mache ich nie. Das kann ich mir nicht leisten.«
Ein kalter Schauder lief ihr über den Rücken, als sie dies hörte, wie eine Art dunkler Vorahnung. Eine solche Arroganz lud Desaster geradezu ein. Ein Kloß stieg ihr in den Hals. Sie hatte gesagt, sie würde sich nicht länger verteidigen, doch der Gefühlssturm, der sie durchtoste, drohte, sie mitzureißen. Sie schluckte hart, starrte die hässlichen, schlaffen Vorhänge am Fenster hinter ihm an und sagte: »Ich hab die zweihundert Dollar nicht gestohlen, Alex.«
Er erhob sich und ging zur Tür. »Mit deiner Strafe befassen wir uns morgen. Du bleibst hier. Versuch nicht davonzulaufen. Ich finde dich, wenn du‘s tust, verlass dich drauf.«
Sie hörte die Kälte in seiner Stimme und fragte sich, welche Strafe er wohl verhängen würde. Eine harte, dessen war sie sicher.
Er machte die Tür auf und verschwand in der Dunkelheit. Sie hörte das Brüllen des Tigers und erschauerte.
Sheba sah zu, wie Alex von ihr wegging. Sie blickte die zweihundert Dollar an, die er ihr gegeben hatte, und wusste, dass sie wegmusste, und schon wenige Augenblicke später raste sie in ihrem Cadillac über die Schnellstraße. Es war ihr egal, wo sie hinfuhr, sie wollte bloß allein sein, allein, um Alex‘ Demütigung zu feiern. So stolz, so arrogant, und dennoch hatte Alex Markov eine ganz gewöhnliche kleine Diebin geheiratet.
Erst vor wenigen Stunden, als Jill Dempsey ihr erzählte, dass Alex verheiratet war, hatte sie noch sterben wollen. Sie hatte die hässliche Erinnerung an den Tag, an dem sie ihren Stolz über Bord geworfen und sich vor ihm erniedrigt hatte, nur deshalb ertragen, weil sie wusste, dass er nie eine andere heiraten würde. Wie könnte er auch eine Frau finden, die ihn ebenso verstand wie sie, seinen Zwilling, die andere Hälfte seines Selbst? Wenn er sie nicht heiratete, heiratete er keine, und das hatte ihren Stolz wieder
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