Küss mich Engel
ihre ganze Überzeugung, alles bekommen zu können, was sie sich wünschte, wie ein Kartenhaus in sich zusammen, und sie rastete aus. Etwas Unvorstellbares geschah, etwas, das sie sich nie vergeben würde: Sie flehte ihn an, nicht zu gehen.
Er war wahrscheinlich der einzige Mensch auf der Welt, der das Ausmaß dessen, was sie damit anrichtete, als sie in Tränen ausbrach und sich vor ihm auf die Knie warf, wirklich verstehen konnte. Sie warf ihren Stolz über Bord und damit alles, was sie zu dem machte, was sie war.
»Sheba, hör auf. Du musst aufhören.« Er versuchte, sie hochzuziehen, aber sie krallte sich an ihm fest und schluchzte derart verzweifelt, dass er es noch bis ins Grab hören würde. Und genau in diesem Moment fühlte er auch, wie sich ihre Liebe in Haß verwandelte.
Owen Quest, den der Lärm alarmiert hatte, kam in den Wohnwagen gestürzt und überflog die Szene mit einem Blick. Dann sah er Alex in die Augen und wies mit einer Kopfbewegung zur Tür. »Geh ruhig. Ich kümmere mich jetzt um sie.«
Eine Woche später heiratete sie Owen, einen Mann, der beinahe doppelt so alt war wie sie und ihr keine Kinder mehr schenken konnte, und Alex war der einzige, der den Grund dafür verstand. Seine Zurückweisung hatte sie bis ins Mark getroffen, und sie konnte sich nur dadurch wieder in die Augen sehen, indem sie sich mit einem einflussreichen, mächtigen Mann verband, der sie auf ein Podest stellte. Da ihr Vater tot war, wandte sie sich an Owen.
»Alex!« Heathers verängstigte Stimme durchbrach seine verstörenden Erinnerungen. »Ich hab Daisy gesehen! Sie ist bei Sinjuns Käfig.«
Sheba hörte, was Heather gesagt hatte, und ließ Jack Daily stehen, um zu Alex zurückzueilen. »Ich regle das.«
»O nein. Das ist mein Job.«
Wahrend sie einander zornig in die Augen sahen, verfluchte er Owen Quest innerlich dafür, dass er ihnen beiden das antat. Erst nach Owens Tod war ihm klargeworden, wie raffiniert der alte Bussard ihn manipuliert hatte. Er zählte darauf, dass Alex und Sheba ihre Streitigkeiten beilegten, heirateten und Quest Brothers weiterführten. Owen hatte ihrer beider Charaktere nie richtig verstanden. Und ganz gewiss hatte er nicht mit einem diebischen kleinen Biest namens Daisy Devereaux gerechnet, das seine Pläne verderben würde.
Heather rannte neben ihm her, bemüht, mit ihm Schritt zu halten. Ihre Stirn war angstvoll gerunzelt. »Es war nicht viel Geld. Bloß zweihundert Dollar. Das ist nicht so viel.«
Er schlang den Arm um ihre Schultern und drückte sie tröstend. »Ich will, dass du dich da raushältst, Heather. Hast du verstanden?«
Sie blickte mit großen, angstvoll aufgerissenen Augen zu ihm auf. »Du wirst sie doch nicht auspeitschen, Alex? Das hat mein Bruder jedenfalls behauptet. Er sagt, du wirst sie jetzt sicher auspeitschen.«
Daisy wurde von einem Stimmengewirr geweckt. Sie hob den Kopf von ihren angezogenen Knien und merkte, dass sie vor Sinjuns Käfig eingenickt war. Während sie sich streckte, fielen ihr wieder die Schmerzen ein, die sie so plötzlich überfallen hatten, und dieses unheimliche Gefühl, mit dem Tiger eins zu sein. Wirklich bizarr. Sie musste das alles geträumt haben, aber es war ihr so real vorgekommen.
Sie blickte auf den Käfig. Sinjun hatte den Kopf gehoben und die Ohren gedreht, so dass wieder die weißen Flecken zu sehen waren. Sie folgte seinem Blick und sah Alex auf sich zustürmen, Sheba und Heather im Schlepptau. Langsam richtete sie sich auf die Füße.
»Wo ist es?« fragte Sheba barsch.
»Ich regle das«, fauchte Alex.
Daisy lief ein unheimlicher Schauder über den Rücken, als sie den kalten, entschlossenen Ausdruck auf seinem Gesicht sah. Sinjun begann rastlos auf und ab zu laufen. »Was regeln? Was ist los?«
Sheba musterte sie mit eiskalter Verachtung. »Spielen Sie nicht die Unschuldige. Wir wissen, dass Sie das Geld genommen haben, also rücken Sie‘s raus. Oder haben Sie‘s schon irgendwo versteckt?«
Sinjun knurrte.
»Ich hab gar nichts versteckt. Wovon reden Sie eigentlich?«
Alex nahm die Peitsche von einer Hand in die andere. »Aus der Geldschublade fehlen zweihundert Dollar, Daisy.«
»Das ist unmöglich.«
»Es ist wahr.«
»Ich hab‘s nicht genommen.«
»Das werden wir sehen.«
Sie konnte nicht glauben, was da passierte. »Ich war nicht die einzige, die dort gearbeitet hat. Vielleicht hat Pete was gesehen. Er hat für mich übernommen, während ich Trikots anprobierte.«
Sheba trat näher. »Sie vergessen,
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