Küss mich, Sweetheart: Roman (German Edition)
»Er hat sich den Hals gebrochen, Gillian.«
»Armes Ding.« Max fing an, ihre Hand zu lecken. »Wie kann so etwas passieren?«
Er spann die Geschichte, die er sich augenblicklich ausgedacht hatte, fort. »Er muss in das Fenster geflogen sein. Vögel sehen manchmal ihr eigenes Spiegelbild im Fenster und halten es irrtümlicherweise für einen anderen Vogel.«
»Es hatte sich eigentlich gar nicht angehört wie ein Vogel, der gegen eine Fensterscheibe fliegt.« Sie biss sich auf die Unterlippe. »Und außerdem – passiert so etwas gewöhnlich nicht nur bei Tageslicht?«
Sam hatte nicht damit gerechnet, dass sie nachhaken würde. »Ab und an passiert das auch bei Zwielicht.«
»Wir haben kein Zwielicht«, erwiderte sie und spähte durch die Fliegentür. »Es ist schon kurz vor zehn.«
Er blickte sich um. Es war dunkel. Wo war der Abend nur geblieben? »Wie schnell die Zeit dahinfliegt, wenn man sich gut unterhält.«
»Ja, das stimmt«, pflichtete sie ihm bei. »Was gedenken Sie denn nun zu tun?«
»Wie meinen Sie das?«
»Na, mit dem Vogel.«
Sam schirmte den Sack und vor allem natürlich die Krähe mit dem Herzschuss mit seinem Körper vor Gillians Blicken ab. »Ich werde ihn auf dem Haustierfriedhof hinter dem Haus meiner Eltern würdig begraben.«
»Haustierfriedhof?« Über ihr Gesicht huschte ein leicht mulmiger Ausdruck. »Das hat aber nichts mit Stephen King zu tun, oder?«
Sam gluckste und versuchte sie zu beruhigen: »Nein, es hat nicht das Geringste mit Stephen King zu tun. Wir beerdigen unsere Haustiere seit dreißig Jahren in dem Obstgarten.«
»Seit Sie ein kleiner Junge waren?«
Er nickte. »Die erste Beerdigung fand zu Ehren von Rockys Dahinscheiden statt.«
»Wer war Rocky?«
»Meine Schildkröte.«
»Gaben Sie ihr den Namen Rocky in Anlehnung an den Film?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich nannte sie Rocky, weil sie die ganze Zeit oben auf dem kleinen Felsen saß, den ich in ihr Wasserbassin gelegt hatte.«
Sie musste lachen. »Ich finde, das entbehrt nicht einer gewissen Logik. Wie alt waren Sie, als Rocky starb?«
»Fünf. Fast schon sechs. Nach Rocky beerdigte ich Petunia, meinen Wellensittich.«
»Erzählen Sie mir nicht …«
»Nein, nein, der Name war Allies Idee. Er kam in einem Buch vor, das meine Mutter damals gerade den Zwillingen vorlas. Dann kam Moofie, die Perserkatze, gefolgt von Buster, der Bulldogge.« Es war sinnlos, jetzt die ganze Palette geliebter Haustiere aufzuzählen, die ihre letzte Ruhestätte im Obstgarten gefunden hatten. Sie hatte jetzt zumindest eine Vorstellung.
»Und dort wollen Sie also den Vogel beerdigen.«
»Das wird morgen früh meine erste Amtshandlung sein.«
Gillian schien erleichtert. »Danke, Sam.«
»Wofür?«
»Dafür, dass Sie mir nicht gesagt haben, Sie würden die Krähe einfach im Müll entsorgen oder etwas Ähnliches.« Sie seufzte tief auf. »Wir leben in so einer üblen Wegwerfgesellschaft.«
Sam hatte nicht die Absicht, ihre Seifenblase zerplatzen zu lassen, und deshalb erzählte er ihr nicht, dass die Entsorgung eines toten Vogels oder anderen Getiers in der Mülltonne unweigerlich Krähen oder andere ungebetene Lebewesen anlocken würde.
Er beabsichtigte, den Vogel in einem tiefen Loch zu vergraben und zur Sicherheit einen größeren Felsbrocken auf das Grab zu setzen. Auf diese Weise hatte kein Tier die Chance, die Krähe wieder auszubuddeln. Er wollte nicht den Ausdruck auf Gillians Gesicht sehen, wenn Max den ultimativen Fauxpas beging und einen halb verwesten, zerfledderten Vogel Gillian vor die Füße legte.
Nachdem Gillian sich wieder ins Haus begeben hatte, legte Sam den toten Vogel vorsichtig in den Sack zurück und zog die Schnur fest zu, bevor er ihn über den Verandapfosten hängte. Auf dem Weg zu seinem Auto würde er ihn dann mitnehmen.
»Es wird langsam spät. Wir wenden uns jetzt wohl besser mal dem Geschäftlichen zu«, meinte Sam, als er zurück ins Haus kam.
Doch vorher wusch Sam sich mit einer Desinfizierungsseife gründlich die Hände. Der Kontakt mit einem toten Vogel oder sonst einem Tierkadaver barg ein großes Risiko. Man konnte sich dabei fast jede Art von Parasiten bis zum West-Nil-Virus einfangen, und das wäre nicht klug.
Schließlich öffnete er seinen Aktenkoffer und nahm mehrere Broschüren und Formulare heraus. »Ich bin heute bei BMV vorbeigefahren.« Er blickte nicht auf und sah sie erst an, als er fortfuhr: »Das ist das Bureau of Motor Vehicles – das Kraftfahrzeugamt. Sind Sie
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