Kuess mich toedlich
rauchen und sich vor der Arbeit zu drücken.
Sarah entfuhr ein langer Seufzer. Endlich Ruhe. Wie herrlich!
Dank Anna Marias kaum vorhandener Arbeitsmoral würde Sarah die nächste Stunde damit zubringen, die Aufgaben ihrer Kollegin zu übernehmen. Es war bereits unheimlich schwierig, jeglichen Körperkontakt zu anderen Personen zu vermeiden, damit sich Sarahs merkwürdige Fähigkeiten nicht zeigten, sie nicht permanent davon gequält wurde. In Anna Marias Nähe war es noch viel schwieriger, nicht den Verstand zu verlieren. Tag für Tag diese Wasserstoffblondine ertragen zu müssen, war schwer genug, ohne auch noch in ihr Innerstes blicken zu müssen. Doch manchmal ließ es sich nicht vermeiden.
Anna Marias Leben schien nur aus drei Dingen zu bestehen: Partys, Männer und dem Versuch, beides unter einen Hut zu bekommen. Sarah hingegen besaß gar kein richtiges Leben. Sie lebte von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde, die sie sich bitter hatte erkämpfen müssen. Stunden, in denen sie keine Schmerzen hatte oder verzerrte, seltsame Bilder sehen musste, die sie nicht sehen wollte und auch nicht sehen sollte, und die sie permanent quälten.
Eine Berührung. Etwas völlig Banales, das unzählige Male am Tag geschah – willentlich oder ohne jede Absicht. Niemand verschwendete auch nur einen Gedanken an etwas derart Alltägliches. Sarah musste es tun. Es bestimmte ihr ganzes Leben. Obwohl – konnte man das überhaupt Leben nennen? Nein, ganz bestimmt nicht.
Partys?
Ein derartiger Menschenauflauf, ein solches Gerangel und Gedränge wäre für Sarah vergleichbar damit, einen Hasen in einen Fuchsstall einzusperren.
Männer?
Seufzend ließ Sarah ihren Kopf sinken. Daran war nicht mal zu denken. Obwohl sie sich nach Nähe sehnte, nach einer einfachen Berührung, wie jede junge Frau es tat, war genau das für sie ein Ding der Unmöglichkeit.
Eine Zeit lang konnte sie sich einreden, sich damit abgefunden zu haben. Aber in letzter Zeit, besonders in den vergangenen Tagen, fühlte sie wieder dieses Bedauern, eine altbekannte Traurigkeit, die sie schon als Teenager hatte spüren können, und die nun erneut ausbrach, und sie fest umklammerte. Vielleicht ertrug Sarah deshalb Anna Marias Oberflächlichkeit kaum noch, obwohl sie sicher gewesen war, sich mittlerweile daran gewöhnt zu haben. Anna Maria wusste nicht zu schätzen, wie kostbar das Leben war. Für Sarah fühlte sich jede Berührung von fremden Menschen, die sie beobachtete, wie ein Stich in ihrem Inneren an, der sie immer daran erinnerte, was ihr verwehrt war und Anna Marias Gleichgültigkeit ließ Sarah dieses Bedauern noch stärker spüren.
Es war kurz vor Ladenschluss. Sarah tippte die letzten Bestellungen in den Computer, dabei blickte sie immer wieder zum Eingang des Ladens. Heute war nicht viel los gewesen. Das schlechte Wetter hatte nur wenige Menschen auf die Straße getrieben. Selbst die Studenten der nahe liegenden Uni, die sich hier sehr oft die Zeit zwischen den Seminaren vertrieben, waren ausgeblieben.
Auf der gegenüberliegenden Seite, in der Nähe eines kleinen Kiosks, entdeckte sie wieder diesen Kerl, der Flyer verteilte. Sie hatte ihn schon in den vergangenen Tagen immer wieder bemerkt. Ein gut aussehender Mann mit braunen Haaren und eindringlichen grauen Augen. Sarah schätzte ihn auf Mitte zwanzig. Wie gestern trug er auch heute Jeans und eine abgetragene Allwetterjacke, die eng an seinem schlanken, aber kräftigen Oberkörper anlag. Sein Aussehen und sein Alter ließen sie vermuten, dass er zu den Studenten zählte.
Auch für ihn hatte es heute wenig zu tun gegeben, auf der Straße herrschte Ebbe. Vermutlich sah er deshalb ständig in ihre Richtung. Als sich nun ihre Blicke trafen, spürte Sarah eine seltsame Hitze, die ihr in die Wangen stieg und sie musste wieder an den Moment denken, als sie ihn zum allerersten Mal zu Gesicht bekommen hatte. Sie war in ihn hineingelaufen und hatte dabei ein ganz merkwürdiges Gefühl bekommen, ganz anders als ihre sonstigen Eingebungen. Ohne es sich erklären zu können, war ihr ein Kribbeln in den Magen gefahren, dabei hatte sie ihn kaum gestreift. Und es hatte nur Sekunden gedauert.
Der Kerl sah verdammt gut aus. Diese Tatsache zu verdrängen, war zwecklos, wie sie bereits hatte feststellen müssen, als sie ihn vor wenigen Tagen angerempelt hatte.
Nicht nur sein überaus männlich geschnittenes Gesicht mit der geraden Nase und dem markanten Kinn hatten sofort ihre Aufmerksamkeit erregt. Es war der
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