Küss mich, wenn Du kannst
um über unser Buch zu reden. Habt ihr‘s alle gelesen? Schließlich sind wir deshalb hier.«
So wie die anderen nickte auch Heath. Letzte Woche hatte Annabelle ihm eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen und den Titel des Romans genannt, den alle Männer lesen sollten - die Geschichte einer Bergsteigergruppe. Zum Vergnügen las Heath nur noch selten, und er freute sich, weil er nun einen Vorwand dazu gefunden hatte.
Während seiner Kindheit war die öffentliche Bibliothek ein Zufluchtsort für ihn. Aber in den High-School-Tagen hatte ihm wegen seiner beiden Jobs die Zeit dafür gefehlt - erstens der Football, zweitens ein Studium für die A-Noten, die ihm helfen würden, den Beau Vista Trailer Park für immer zu verlassen. So wie viele andere einfache Genüsse war auch die Lektüre auf der Strecke geblieben.
Darnell stützte einen Arm auf den Tisch. »Wer will anfangen?«
Nun entstand ein langes Schweigen, das Dan schließlich brach: »Mir hat‘s gefallen.«
»Mir auch«, sagte Kevin.
Walter hob eine Hand, um noch eine Cola zu bestellen. »Sehr interessant.«
Unbehaglich starrten sie sich an.
»Gute Handlung«, meinte Ron.
Dann schwiegen sie wieder.
Kevin knickte Ziehharmonikafalten in eine Papierserviette, Ron spielte mit dem Salzstreuer, und Walter hielt nach seiner Cola Ausschau. Unbeirrt versuchte Darnell sein Glück noch einmal. »Erinnert ihr euch an die Reaktion der Männer in der Nacht auf dem Berg? Was haltet ihr davon?«
»Hochinteressant.«
»Das fand ich okay.«
Darnell nahm die Literatur ernst. In seinen Augen ballten sich Gewitterwolken zusammen. Dann warf er Heath einen drohenden Blick zu. »Haben Sie irgendwas zu sagen?«
»O ja.« Heath legte seinen Burger beiseite. »Sicher, es ist immer schwierig, Abenteuer, Ironie und hemmungslose Sentimentalität unter einen Hut zu bringen, besonders in einem Roman mit einem so prägnanten philosophischen Thema. Wir fragen uns, um welchen Konflikt geht es? Mensch gegen Natur, Mensch gegen Mensch, Mensch gegen sich selbst? Eine ziemlich komplexe Erforschung unseres modernen Problems, des Gefühls, wir wären alle entwurzelt... Düstere Untertöne, komische Höhepunkte. Also, mich hat das Buch richtig gefesselt.«
Alle brachen in wieherndes Gelächter aus. Sogar Darnell.
Schließlich beruhigten sie sich. Walter bekam seine Cola, Dan fand eine neue Flasche Ketchup, und die Konversation kehrte in die Bahnen zurück, die alle außer Darnell ansteuerten.
Football.
Nach dem Lunch wanderten die Clubmitglieder über das Gelände und setzten die Diskussion über die Biografien berühmter Frauen fort, die sie gelesen hatten. Annabelle hatte sich auf Katharine Grahams und Mary Kay Ashs Bücher konzentriert, Phoebe auf Eleanor Roosevelt, Charmaine auf Josephine Baker, Krystal auf Coco Chanel. Während Janine mit mehreren Biografien geheilter Krebskranker beschäftigt gewesen war, hatte Sharon das Leben der Malerin Frida Kahlo studiert. Erwartungsgemäß hatte sich Molly für Beatrix Potter entschieden. In eifrigen Debatten verglichen sie das Leben dieser Frauen mit ihrem eigenen, suchten gemeinsame Interessen und untersuchten die Lebensstrategien jeder einzelnen Autorin. Etwas später gingen sie in den Privatpavillon der Tuckers.
Janine zeigte ihnen eine Sammlung alter Zeitschriften, Kataloge und Kunstdrucke. »Damit haben wir in meiner Krebshilfegruppe gearbeitet, das war sehr aufschlussreich. Jetzt wollen wir Wörter und Bilder ausschneiden, die an unsere Gefühle appellieren, und zu individuellen Collagen zusammensetzen. Danach sprechen wir darüber.«
Da Annabelle eine Landmine erkannte, wenn sie eine sah, wählte sie ihre Motive sehr vorsichtig. Leider nicht vorsichtig genug.
»Dieser Mann sieht wie Heath aus«, konstatierte Molly und zeigte auf ein knackiges Model in einem Van-Heusen-Hemd, das Annabelle in die linke obere Ecke ihres Posters geklebt hatte.
»O nein«, protestierte Annabelle, »er repräsentiert den Kundentyp, den ich mir für meine Agentur wünsche.«
»Und was bedeuten diese Schlafzimmermöbel?« Charmaine wies auf ein Crate-&-Barrel-Sleigh-Bett. »Und das kleine Mädchen mit dem Hund?«
»Die habe ich auf der anderen Seite des Papiers postiert. Berufsleben. Privatleben. Völlig getrennt.«
Glücklicherweise wurde in diesem Augenblick das Dessert serviert, und sie gaben es auf, Annabelle zu verhören. Aber nicht einmal ein Stück Zitronenkuchen milderte die Selbstvorwürfe, die sie sich wegen der Ereignisse der
Weitere Kostenlose Bücher