Küss mich wie damals
gute Aussehen bewahrt. Die Fältchen um Augen und Mund verliehen seinem Gesicht einen charaktervollen Ausdruck, den es früher nicht gehabt hatte. Sein Kinn war markanter, als Frances es in Erinnerung hatte, und wirkte sehr energisch.
„Möchten Sie Seiner Gnaden ausweichen, Lady Corringham?“, erkundigte sich Percival. „Noch ist uns das möglich.“
„Nein“, antwortete sie lachend, denn inzwischen waren zu viele Jahre verstrichen, als dass sie Marcus noch böse hätte sein können. „Verließen wir jetzt die Allee, sähe das aus, als wollten wir Seine Gnaden absichtlich meiden. Ich habe keinen Grund, ihm aus dem Weg zu gehen.“
„Es ist viel Wasser die Themse hinabgeflossen.“
„Ja.“ Mittlerweile war man fast auf gleicher Höhe mit dem Phaeton. Frances zügelte das Pferd und schenkte Marcus ein Lächeln, das ihr ganzes Gesicht zum Strahlen brachte und die meisten Männer der vornehmen Gesellschaft, wenn sie es sahen, in hellstes Entzücken versetzte. „Guten Tag, Euer Gnaden“, begrüßte sie ihn höflich.
„Madam.“ Er hielt den Phaeton an und zog den Hut. Sein Haar war noch so voll und glänzend wie früher. Er lächelte zwar, doch sein Blick war kühl, und um seine Lippen lag ein leicht ironischer Zug, den er früher nicht gehabt hatte. „Wie geht es Ihnen?“
„Sehr gut, Euer Gnaden. Vielen Dank für die Nachfrage. Kennen Sie Sir Percival Ponsonby?“
„Ja. Guten Tag, Sir.“
„Guten Tag, Euer Gnaden“, erwiderte Percival. „Was hat Sie in die Stadt geführt? Ich glaube, es ist Jahre her, seit Sie hier waren.“
„Ja“, bestätigte Marcus. „Madam, das ist meine Tochter Lavinia“, stellte er die junge Dame neben ihm vor. „Lavinia, das ist Lady Frances, die Countess of Corringham.“ Er hatte kühl und unpersönlich geklungen und durch nichts zu erkennen gegeben, dass er sich an den heißen Sommer erinnerte, in dem er und Frances alles füreinander gewesen waren. Alles, aber vielleicht auch nichts. „Und das ist Sir Percival Ponsonby.“
„Es freut mich, Sie kennenzulernen, Lady Lavinia“, sagte Frances, derweil Sir Percival sich verneigte. „Ich hoffe, Sie genießen den Aufenthalt in London.“
Das Mädchen murmelte etwas Unverständliches und krauste die Stirn, ein Umstand, der ihrem hübschen Gesicht abträglich war und ihr einen strafenden Blick des Vaters einbrachte. Frances wunderte sich über sein Verhalten, schaute ihn an und fragte: „Werden Sie längere Zeit in der Stadt bleiben, Euer Gnaden?“
„Ja, für die ganze Saison. Ich habe geschäftliche Dinge zu regeln, und meine Tochter muss etwas weltgewandter werden.“
In diesem Punkt stimmte Frances ihm zu. Das Mädchen war ausgesprochen schön, und alle jungen Kavaliere würden ihm zu Füßen liegen, falls es lernte, sich etwas manierlicher und charmanter zu betragen. Statt sich an der Unterhaltung zu beteiligen, betrachtete Lady Lavinia die vorbeireitenden Herrschaften, ganz so, als sei sie nicht im Mindesten daran interessiert, mit den Bekannten ihres Vaters zu plaudern.
„Dann werden wir Sie sicher in Gesellschaft wieder sehen.“
„Ja, denn ich habe vor, Lavinia zu weniger bedeutenden Geselligkeiten mitzunehmen, damit sie einen Vorgeschmack dessen bekommt, was sie bei ihrem gesellschaftlichen Debüt im nächsten Jahr erwartet.“ Plötzlich lächelte der Duke, und wider Willen merkte Frances, dass sie doch nicht so gegen seinen Charme gefeit war, wie sie gehofft hatte. „Lady Willoughby hat uns morgen Nachmittag zum Tee gebeten.“
Im Stillen verwünschte Frances Ihre Ladyschaft. Ausgerechnet zu der Zeit, da sie ihr das Bild liefern sollte, war Marcus eingeladen. Aber sie konnte das Gemälde am Vormittag vorbeibringen und sich unter einem Vorwand für den Nachmittag entschuldigen. Das wäre jedoch feige, und sie war kein Feigling. Außerdem war nicht davon auszugehen, dass sie Marcus während der ganzen Saison nicht mehr begegnen würde. Folglich konnte sie gleich damit anfangen, ihm zu verstehen zu geben, dass sie Distanz zu ihm wahren wollte. „Wie nett“, erwiderte sie. „Ich freue mich schon darauf, Sie beide bei Lady Willoughby zu sehen. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Tag, Euer Gnaden, Lady Lavinia.“
„Auf Wiedersehen, Madam.“ Er verneigte sich leicht und zog die Zügel straffer. Frances ritt mit Sir Percival weiter. Die Begegnung mit Marcus war rein zufällig gewesen, ein Austausch von Höflichkeiten unter Bekannten. Frances überlegte, ob sie etwas anderes erwartet hatte,
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