Küss mich wie damals
Frances ihm die Arme um den Nacken und fühlte sich wundervoll leicht und herrlich lebendig und geliebt. Für den Augenblick war ihr das genug.
„Bis morgen“, murmelte Marcus, nachdem er sich von ihr gelöst hatte. Er blieb bei der Kutsche stehen und schaute ihr hinterher, bis sie im Haus verschwunden war. Dann stieg er ein und befahl dem Kutscher, ihn nach Hause zu fahren.
Der Duke traf unerwartet früh bei Frances ein. Sie saß noch am Schreibtisch und war damit beschäftigt, die Nachricht für James zu verfassen, als der Butler den Besucher ankündigte. Verwirrt begab sie sich nach unten, um ihn zu begrüßen. Wenngleich sie ihn liebte und sich nichts mehr wünschte, als seine Frau zu werden, hatte sie noch nicht entschieden, wie sie auf seinen Heiratsantrag reagieren würde.
Als sie das Empfangszimmer betrat, überfiel ein aufgeregter Marcus sie förmlich mit der Mitteilung, seine Tochter sei verschwunden, und niemand wisse, wo sie sei. Natürlich habe er sie überall suchen lassen, doch da sie seit dem vergangenen Abend nicht mehr gesehen worden war, befürchte er, Mr. Poole könne sie entführt haben, um sich an ihm zu rächen.
Frances war über die schreckliche Neuigkeit entsetzt und gestand ihm, sie habe Lady Lavinia zuletzt beim Ball gesehen. Sie konnte sich jedoch nicht vorstellen, dass James etwas mit ihrem Verschwinden zu tun hatte. Dennoch erschien es ihr geraten, den Stiefsohn zu fragen. „Ich habe deine Tochter gestern mit James tanzen sehen“, sagte sie. „Vielleicht hat sie ihm gegenüber eine Andeutung gemacht, die dir weiterhilft. Wir werden sofort zu ihm fahren.“
James war nicht minder erschüttert, als er die Neuigkeit erfuhr, hielt es indes für angebracht, nicht zu erwähnen, dass er Lady Lavinia nach Hause begleitet hatte. „Ich bedauere, Euer Gnaden, dass ich Ihnen nicht helfen kann. Wäre es denkbar, dass sie, ganz gleich, aus welchen Gründen, auf den Landsitz zurückgekehrt ist? Soll ich das für Sie überprüfen?“
„Ja“, willigte Marcus ein und beschloss, sich auch Major Greenaways Unterstützung zu versichern.
Beim Abschied fand Frances Gelegenheit, sich leise bei James zu erkundigen, ob er Lady Lavinia nach Hause gebracht habe, und erfuhr, das sei der Fall gewesen. Sie begriff, dass sie Marcus jetzt gestehen musste, was am vergangenen Abend geschehen war. Sobald sie mit ihm in der Kutsche saß, berichtete sie ihm beklommen die Einzelheiten des vorangegangenen Abends und welche Rolle der junge Benedict bei den Ereignissen gespielt hatte.
Sogleich wies Marcus den Kutscher an, zu Lord Willoughbys Residenz zu fahren. Lord und Lady Willoughby waren empört über die Unterstellung, ihr Sohn könne etwas mit Lady Lavinias Verschwinden zu tun haben. Lady Willoughby verkündete entrüstet, die Tochter Seiner Gnaden habe von Benedict verlangt, er solle gestehen, schuld daran zu sein, dass der Marquis of Risley in der Spielhölle gewesen war. Er habe jedoch nicht die Unwahrheit sagen wollen und sei daraufhin von ihr geohrfeigt worden.
Marcus fand, er vergeude nur kostbare Zeit, wenn er länger bliebe, und entschied, erst Frances nach Hause zurückzubringen und dann Major Greenaway sowie die Konstabler vom Verschwinden seiner Tochter in Kenntnis zu setzen.
Nachdem Frances zu Hause war, kam ihr der Einfall, Lady Lavinia könne vielleicht den von Benedict verbreiteten Gerüchten Glauben geschenkt, in Gedanken das Gemälde im Salon mit ihrer Skizze verglichen und den brennenden Wunsch verspürt haben, der Wahrheit über das Kind auf den Grund zu gehen. Dann bestand die Möglichkeit, dass das Mädchen schon in der Frühe das Waisenhaus aufgesucht hatte.
Unverzüglich ließ Frances sich von ihrem Kutscher dort hinfahren und erkundigte sich bei Mrs. Thomas nach ihr, hörte jedoch, dass die fragliche junge Dame nicht da gewesen sei, das gesuchte Kind indes, das Jack hieß, am vergangenen Abend von Gendarmen zu ihr gebracht worden war. Man hatte es in einem Elendsviertel neben der Leiche seiner Mutter gefunden, die zu Tode geprügelt worden war. Frances zweifelte nicht daran, dass Mr. Poole seine Drohung wahr gemacht hatte, und befürchtete, zwischen Lady Lavinias Verschwinden und dem Mord an Mrs. Poole könne eine Verbindung bestehen.
Um ganz sicher zu sein, dass Marcus’ Tochter nicht im Haus gewesen war, wurden die Kinder befragt, und zu Frances’ Überraschung erzählte ein älterer Junge, der etwas in der Stadt hatte erledigen müssen, er habe die junge Dame mit einem ihm
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