Kuess mich
leidenschaftlich gerne im Schlaf vor sich hin. Er sah dabei immer unglaublich süß aus. Eigentlich fiel ihr das aber setlen auf. Chris war nicht hier, das fiel ihr schon auf. Trotzdem roch es nach ihm.
Es dauerte noch drei Sekunden, dann begannen sämtliche Alarmglocken in Sams Inneren zu schrillen. Während die Bilder vor ihrem geistigen Auge lückenhaft aufflackerten, starrte sie wie gebannt an die hölzerne Decke. Sie hatte bei diesem Kartenspiel verloren, immer wieder und wieder. Chris hatte jedes Mal triumphierend eine Augenbraue in die Höhe gezogen, dann hatte er unglaublich gut im Mondlicht ausgesehen. Da waren The Offspring, die Übelkeit, die Sterne, der Kuss und das Kotzen.
>> O mein Gott! Sag, dass ich das nicht getan habe! << , rief Sam.
Ihre Stimme war beschlagen, aber piepsig.
>> Was ist denn los? << , murrte Sev und rieb sich den Schlaf aus den Augen.
>> Was ist mit Gott? << , fragte Matthias verwirrt, der eigentlich noch zu sechzig Prozent schlief und sein Schnitzel aß.
>> Nein, nein, nein, nein, nein… <<
Sam wankte, leicht dehydriert, hin und her, während die Erinnerungen an die gest rige Nacht immer klarer wurden.
>> Was zum Teufel ist denn mit mir los? Warum tu ich das denn?! <<
>> Was ist mit dem Teufel? << , murrte Matthias.
Sein Schnitzel entglitt ihm immer weiter. Er hatte die Augen schon einen Spalt weit geöffnete und beobachtete Sam, wie sie durch den Heuboden stolperte.
>> Wo ist Chris? <<
>> Nachhause gegangen. Er war noch ziemlich nüchtern, im Gegensatz zu dir… << , erklärte Sev und gähnte ausgiebig.
>> Er hat dich auf den Heuboden getragen. Du hast ganz schön protestiert. <<
>> Was heißt das?! Was weißt du?! << , platzte es aus Sam heraus.
Sie befruchtete das Schlimmste. In ihr wuchs eine Art von Scham, die sie das letzte Mal verspürt hatte, als sie auf Bastians Party zu David Guetta getanzt und dem Gastgeber dabei abgeschleckt hatte.
>> Ich weiß nur, dass das mit der frischen Luft keine so gute Idee von dir war. Chris hat gemeint du hast gekotzt. <<
>> Und weiter? <<
>> Nichts weiter. Er hat dich hier hingelegt und gemeint, wir sollen zusehen, dass du gut nachhause kommst, ohne dir zu nahe zu kommen – das wäre nämlich gefährlich. <<
Sev legte den Kopf nachdenklich schief.
>> Wie er das genau gemeint hat, weiß ich allerdings nicht. <<
Sam ließ sich wieder ins Heu fallen und vergrub ihr Gesicht in dem duftenden Pullover. Das Letzte an das sie sich erinnern konnte war, dass sie kotzen musste, danach herrschte Finsternis.
>> Kann mir bitte wer ein Loch graben in dem ich mich die nächsten Wochen verstecken kann? << , flehte sie mit beschlagener Stimme.
>> Ach was! Beim Erstkontakt mit Matthias‘ Schnaps ist sowas vorprogrammiert. Ist uns allen schon mal passiert! << , meinte Sev und wollte Sam damit eigentlich beruhigen.
>> Echt? Ihr seid alle schon mal über Chris hergefallen, oder wie? << , murmelte sie.
>> Was ist mit Chris? <<
>> Ach vergiss es! <<
Sam raffte sich haareraufend auf.
>> Pia ist verdammt nochmal ansteckend! <<
Fluchend kletterte sie die knarrende Holzleiter hinunter und ließ einen verwirrten Sev und einen paralysierten Matthias zurück.
Draußen war es kühler als sonst, ein erfrischender Wind linderte Sams Kopfschmerzen, konnte aber nichts gegen ihren wackeligen Gang ausrichten. Der angeschlagene Kreislauf und das flaue Gefühl im Magen, waren die nicht abschlagbare Zugabe zu jedem Tropfen hochprozentigen Alkohol. Die Sache mit dem beißenden Schamgefühl, war da schon kontrollierbarer. Sam hätte Chris nicht küssen müssen. Der Alkohol hatte sie mutiger werden lassen, nicht unzurechnungsfähig. Wieso musste er auch so verdammt gutaussehend sein und wieso, musste er auch auf einmal so nett werden? Die Huskyaugen im Mondlicht und das Zahnpastalächeln hatten ihr übriges getan. Es hätte vielleicht sogar irgendwie schön werden können, wenn es anders ausgegangen wäre.
Warum passierten ihr eigentlich so ekelige Dinge? Wer übergab sich schon nach einem Kuss? Was war bloß aus all diesen super kitschigen Märchenküssen geworden, in denen sich verliebte Paare in romantisch ausgeleuchteten Pavillons hypnotisierende Blicke zuwarfen, nur um dann, im perfekten Winkel für alle Beobachter, ihre Lippen aufeinanderzupressen? Wieso war die Realität um so viel unappetitlicher als die Fiktion?
>> Hallo Sam. <<
Eine wohlbekannte Stimme riss sie aus ihrer Sinnkrise.
>> Papa… << , murmelte sie förmlich.
Ihr Vater
Weitere Kostenlose Bücher