Küsse, die "Verzeih mir" sagen
es bis dahin nur noch drei Tage.
Heute war er besonders stolz darauf, wie gut Roberta reiten konnte. Und sie hatte Talent als Fotografin. Allein bei ihrem Ausflug heute hatte sie bestimmt fünfzig Bilder geschossen.
„Können wir nachher noch bei dir spielen?“, fragte Nicky Roberta auf dem Rückweg.
„Ich bin heute bei meinem Dad.“ Sie warf Chase einen stolzen Blick zu. „Darf Nicky noch zu uns kommen?“
Offenbar hatten die beiden trotz des Altersunterschieds schon enge Freundschaft geschlossen.
„Na klar“, sagte Chase.
„Super! Wo ist denn deine Mom?“
„In Wawona“, erwiderte Roberta, und Chase spitzte die Ohren. Davon wusste er gar nichts. Wie immer konnte er sich auf Nicky verlassen.
„Und was macht sie da?“, fragte der prompt.
„Sie geht mit dem anderen Parkarchäologen essen. Er ist gerade erst aus Mexiko zurückgekommen.“
„In der Schule hat Brody Carly erzählt, dass der Parkarchäologe sich scheiden lässt. Was heißt denn das?“, fragte Nicky Chase.
Klatsch und Tratsch hatten zwischen den Parkangestellten immer Hochsaison, doch davon hatte er noch nichts gehört. Er hatte Ron Saddler immer für glücklich verheiratet gehalten. Und die neue Situation gefiel ihm gar nicht: Der Archäologe würde ständig mit Annie draußen an den Ausgrabungsstätten unterwegs sein, manchmal auch über Nacht.
Unwillkürlich überlief ihn ein Schauer.
„Das bedeutet, dass er nicht mehr mit seiner Frau und den Kindern zusammenwohnt.“
„Oh.“
Auf der restlichen Strecke war Roberta ungewöhnlich still, was Chase beunruhigte. Als sie den Stall erreichten, half er Nicky aus dem Sattel. Roberta stieg allein ab. Sie war in diesen Dingen genauso unabhängig wie ihre Mutter. Aber irgendeinen Weg musste er doch finden, um an Annie heranzukommen …
Als sie in Chases Haus angekommen waren, ließ er Nicky bei seinen Eltern anrufen, um ihnen zu sagen, wo er steckte. Den Augenblick allein mit seiner Tochter nutzte er, um sie auf ihre ungewöhnliche Schweigsamkeit anzusprechen.
„Irgendetwas stimmt nicht mit dir“, sagte er leise. „Hattest du Ärger an deinem ersten Schultag?“
Roberta schüttelte den Kopf.
„War Carly nicht nett zu dir?“ Insgeheim hatte er gehofft, dass das etwas ältere Mädchen Freundschaft mit Roberta schließen würde.
Ohne ihn anzusehen, murmelte Roberta: „Sie hat gefragt, wieso meine Eltern nicht zusammenleben.“
Chases Herz zog sich schmerzhaft zusammen. „Und was hast du gesagt?“
„Weil sie das nicht wollen.“
Als sie endlich den Kopf hob, standen Tränen in ihren blauen Augen. „Sie hat gefragt, ob ihr beide geschieden seid. Und ich habe Nein gesagt.“
Dass es Gerede geben würde, war ihm klar gewesen, doch in der Schule hatte er nicht damit gerechnet. Das war ja nicht gerade ein glücklicher Start in das neue Leben hier gewesen. „Es tut mir leid, dass sie dich in Verlegenheit gebracht hat“, sagte er und umarmte Roberta.
Sie wischte sich über die Augen. „Magst du Mom?“, fragte sie dann leise.
Oh Roberta.
„Ich habe nie aufgehört, sie zu lieben, aber ich habe sie sehr verletzt, ohne es zu wollen. Und wahrscheinlich kann sie mir das nie verzeihen.“
Insgeheim hoffte er, Roberta würde ihm widersprechen, doch sie schwieg. Sie wusste schließlich genau, was in ihrer Mutter vorging.
„Ich wünschte, wir würden alle zusammenleben.“
„Das wünsche ich mir auch“, flüsterte er.
Überrascht blickte sie zu ihm auf. „Ehrlich?“
„Klar, was dachtest du denn? All die Jahre habe ich mir nichts sehnlicher gewünscht als eine Familie. Und nun, wo ich euch endlich gefunden habe, möchte ich immer bei euch sein.“
„Auch bei Mom?“
„Ich habe sie schon geliebt, bevor es dich gab, mein Schatz. Mit meinen wunderbaren zwei Frauen unter einem Dach zu leben, würde mich sehr, sehr glücklich machen.“
Sie wurden von Nicky unterbrochen, der in die Küche gerannt kam. „Ich kann eine Stunde bleiben. Dann holt Mom mich ab, weil wir einkaufen fahren.“
„Das ist ja prima. Was möchtet ihr essen?“
„Kann ich ein Erdnussbuttersandwich haben?“
„Klar. Und du, Liebes?“
„Ich möchte nur ein Glas Milch. Ich hole es mir selbst.“
Chase drängte sie nicht zum Essen. Nach ihrem intensiven Gespräch hatte er auch keinen Appetit mehr. Wenn Roberta Annie davon erzählte – und damit rechnete er – bestand die Gefahr, dass sich Annie noch weiter von ihm distanzierte, weil sie seine Gefühle nicht mehr erwiderte. Es war nicht
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