Küsse, die "Verzeih mir" sagen
Gefahr und tatsächlicher Bedrohung gab es nun mal einen Unterschied. Vielleicht hatte er Angst, Roberta nicht schützen zu können, wenn seine wahre Identität jemals aufflog. Vielleicht quälte er sich mit dem Gedanken, dass das, was ihn so glücklich machte, seiner Tochter letztendlich schaden könnte.
Annie hatte so viele Fragen, auf die sie dringend eine Antwort brauchte. „Roberta hat mir vorher einige Dinge erzählt, die er gesagt hat. Ich muss unbedingt mit ihm reden. Hättest du etwas dagegen, wenn ich jetzt mal rübergehe? Vielleicht ist er noch gar nicht zurück, aber wenn doch, könnte es eine Weile dauern.“
„Nur zu. Wenn Roberta fragt, wo du bist, sage ich es ihr, oder? Das wird sie mehr trösten als alles andere.“
Ihre Mutter verstand die Situation wirklich gut. Annie umarmte sie dankbar und ging dann in den Flur, wo sie ihren Parka überzog, so gut es mit dem Gips ging. Draußen waren es nur noch knapp über null Grad. Im Laufschritt eilte sie zu Chases Haus, doch es brannte kein Licht. Vielleicht war er schon im Bett?
Nach kurzem Zögern klopfte sie an die Tür, doch niemand antwortete. Schließlich klingelte sie, doch auch das brachte nichts. Enttäuscht wandte sie sich ab. Sie konnte auf der Veranda warten, aber da würde sie es wegen der Kälte nicht lang aushalten. Sie beschloss, zehn Minuten zu bleiben und dann nach Hause zu gehen.
Die Aufräumarbeiten hatten angefangen. Vance trat zu Chase und deutete auf die Felswand, die ihnen den nächtlichen Alarm beschert hatte.
„Und, was denkst du?“
„Wir sollten die Evakuierung aufrechterhalten und das ganze Hüttendorf für den Winter schließen. Wir hatten Glück, dass die Bewohner der Hütte, die getroffen wurde, zum Abendessen im Restaurant waren. Aber wenn es jetzt friert, kann es zu weiteren Felsstürzen kommen.“
„Ganz deiner Meinung. Ich sage auf dem Heimweg Bill Telford Bescheid.“
Chase nickte. Er selbst wollte dem Superintendenten im Moment lieber nicht begegnen. Es störte ihn, dass der Mann Annies und Robertas Nähe suchte – und Vance wusste das. „Wie sieht’s mit Halloween aus?“, fragte er Vance.
„Alles geregelt. Ich habe die Schichten so gelegt, dass die Kollegen mit Kindern die Runde um die Häuser machen können. Das sind dieses Jahr auch wir beide. Unglaublich, oder? Letztes Jahr haben wir freiwillig die Abendschicht übernommen, damit die Väter feiern können, und jetzt haben wir selbst Kinder.“
„Ich kann es noch gar nicht so richtig fassen“, gab Chase zu.
„Und wie ist es mit Annies Eltern gelaufen?“
„Wunderbar. Aber du hast mich ja angefordert, bevor wir zum gemütlichen Teil übergehen konnten.“
„Tut mir wirklich leid, aber bei solchen Sachen kann ich einfach nicht auf dich verzichten. Ich wüsste nicht, was ich ohne dich täte.“
„Gut zu hören. Ich mag meinen Job.“
„Aber?“
Chase atmete tief ein. „Aber mein Leben wird wohl kein Happy End haben – so wie deins. Ich kann es spüren. Versteh mich nicht falsch, Roberta ist ein wunderbares Geschenk, mit dem ich nie gerechnet hätte. Aber Annie … Das ist etwas anderes. Sie wünscht sich, ich würde einfach wieder aus ihrem Leben verschwinden.“
Vance hob die Augenbrauen. „Ach ja? Wieso hat sie dann vorher ganz panisch bei Rachel angerufen, um zu erfahren, wohin du so Hals über Kopf aufbrechen musstest?“
„Was hat sie?“, fragte Chase überrascht.
„Du hast es gehört.“
Doch Chase schüttelte den Kopf. „Da hat sie bestimmt nur gemacht, um Roberta zu beruhigen.“
„Das glaube ich nicht, sonst hätte Roberta ja auch einfach Nicky anrufen können.“ Er schüttelte den Kopf. „Wie du weißt, ist Rachel ziemlich einfühlsam. Sie hat gesagt, ich solle dir das nicht erzählen, aber ich denke, es könnte helfen. Jedenfalls hat sie sich beim Umzug länger mit Annie unterhalten, und offenbar sieht es ganz so aus, als ob du derjenige bist, der auf Abstand geht.“
„Und das stimmt auch! Du kennst Annie noch nicht gut genug, aber wenn ich jetzt etwas falsch mache, kann das böse Folgen für uns alle haben.“
„Das war vielleicht am Anfang so, aber jetzt hat Annie den Schock überwunden. Ich kann mich auch irren, aber es kann nicht schaden, wenn du etwas offensiver vorgehst. Was kann denn schon passieren? Schlimmer als jetzt kann es ja wohl kaum werden. Und sie würde dir niemals Roberta wegnehmen, das steht fest. Also erinnere sie mal daran, wie sehr ihr beide euch früher geliebt habt.“
„Genau, bis
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