Kuesse - heiß wie die Sonne Siziliens
ihr Lieblingsonkel.“
„Das bin ich auch, aber Sie sind das neue Mädchen in der Stadt. Damit kann ich nicht konkurrieren.“ Ein angedeutetes Lächeln lag auf seinen Lippen.
Sie wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Schon der Anflug seines Lächelns gab ihr das Gefühl, als habe ihr jemand den Teppich unter den Füßen weggezogen, wenn auf dem Tennisplatz denn Teppiche ausgelegen hätten.
Obwohl sie lange nicht gespielt hatte, gelangen ihr einige ordentliche Passierschläge. Die Kinder applaudierten, und Dario schaute recht überrascht, wenn ihr ein guter Return gelang. Das nächste Mal jedoch schlug er mit einer solchen Kraft zurück, dass sie keine Chance zur Annahme hatte. Wenn sie vorher an seinem konkurrenzbetonten Wesen gezweifelt hatte, dann wurde sie heute eines Besseren belehrt. Vielleicht sah Dario sie genauso. Sie verlor nicht gern, weder auf dem Tennisplatz noch in den Weinbergen.
Als sie das Spiel mit Unentschieden beendeten, gingen Isabel und Dario hinter den Kindern her zum Haus zurück. „Sie spielen nicht schlecht. Wo haben Sie es gelernt?“
„Auf der High School, aber ich habe nie regelmäßigem Unterricht bekommen.“
„Sind Sie häufig umzogen?“
„Sehr oft. Ich musste immer dorthin, wo gerade eine Pflegefamilie frei war, die mich aufnehmen wollte.“
„Das muss sehr schwierig gewesen sein.“
„Ach nein, es ging. Es war interessant, all die unterschiedlichen Familien kennenzulernen, neue Schulen zu erkunden und neue Freunde zu finden.“ Der letzte Teil war gelogen. Es war so anstrengend gewesen, jedes Schuljahr andere Freunde zu finden, dass sie irgendwann aufgehört hatte, es zu versuchen. Sie verbrachte ihre freie Zeit lieber in der Schulbücherei und lernte, denn sie wusste, dass sie ein Stipendium bekommen musste, wenn sie aufs College wollte. „Ich nehme an, Sie haben Ihr ganzes Leben hier gelebt.“
„Ich habe ein paar Sommer in Sportcamps verbracht, einmal sogar nur zum Tennisspielen, auch wenn man das meinem Spiel heute Abend nicht angemerkt hat. Dann habe ich in Mailand Wirtschaftswissenschaften studiert. Aber ich war mir immer sicher, dass ich dort nicht für immer leben mochte. Mein Zuhause ist hier.“
„Familiäre Bande sind auch in Amerika sehr wichtig, ich habe eben nur zufällig keine. Dadurch ist es für mich ein bisschen einfacher, auf der anderen Seite des Ozeans meine Zelte aufzuschlagen.“ Was nicht hieß, dass sie nicht neidisch auf ihn war. Wer wäre das nicht? Doch immerhin besaß sie ein Haus und ein Weingut, und er würde von ihr keine Klagen zu hören bekommen.
Als sie an der Villa ankamen, waren die meisten Fenster hell und anheimelnd erleuchtet. Isabel vermisste das Gefühl, Teil einer Familie und eines Hauses zu sein, noch stärker als sonst. Rasch blinzelte sie eine Träne weg, froh, dass die Dunkelheit sie vor neugierigen Blicken schützte. Sie wollte auf keinen Fall, dass Dario auch nur eine Spur von Traurigkeit oder Neid an ihr bemerkte. Sie war so oft als Heulsuse beschimpft worden, bis sie irgendwann gelernt hatte, ihre Gefühle zu kontrollieren. Gleichgültig, wie schlimm Beschimpfungen je gewesen waren, sie hatte nie irgendjemandem die Genugtuung gegeben, sie weinen zu sehen.
Sie ging ins Haus hinein, um sich bei Darios Großmutter zu bedanken und sich zu verabschieden. Die alte Dame saß in der Küche in einem Schaukelstuhl und unterhielt sich mit einer Frau, die wohl die Köchin war. Isabel sagte in ihrem besten, wenn auch stockenden Italienisch, wie köstlich das Essen gewesen war, wie schön sie das Haus fand und wie sehr sie den Garten bewunderte. Die Hausherrin umarmte sie und sagte etwas, das klang wie: „Kommen Sie bald wieder. Ich hoffe, mein Enkel behandelt Sie gut“. Oder hatte sie es falsch verstanden, und es bedeutete etwas völlig anderes? Doch das Lächeln auf dem kleinen runden Gesicht der alten Sizilianerin war unmissverständlich voller Wärme und Freundlichkeit.
Als Darios Schwestern mit Kaffeetassen die Küche betraten, dankte Isabel auch ihnen für die Gastfreundschaft. Auf ihr herzliches Drängen hin nahm Isabel auf einen Hocker am Küchentresen Platz.
„Ich habe den Abend sehr genossen“, sagte sie. „Ich hoffe, dass ich Sie das nächste Mal auf die Azienda einladen kann.“
„Wollen Sie damit sagen, dass Sie dort bleiben möchten?“
„Ja, selbstverständlich.“
„Allein?“
Isabel nickte. Sie hoffte, dass ihr nicht noch eine Lektion in Sachen wilde Tiere bevorstand. „Ich lebe
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