Küsse im Mondschein
hinter einer schützenden Mauer zu verschanzen, sein Innerstes weiterhin zu verschließen. Selbst vor ihr, Amanda. Er war vor dem Risiko zurückgeschreckt - und nun waren sie beide nahe daran, den Preis dafür zu zahlen.
Seine Karriole flog nur so die Straßen entlang, überholte langsamere Gefährte in weitem Bogen, um dann in den Ebenen in noch größerem Tempo dahinzurasen. In Barnet wechselte Martin zum ersten Mal die Pferde und danach noch etliche weitere Male, und er verfluchte die Notwendigkeit, ohne Pferdeknecht reisen zu müssen. Doch er hatte nicht gewollt, dass noch ein weiterer Zeuge zugegen sein würde, wenn er schließlich Amandas Kutsche einholte. Mit Carmarthen und ihrem Kutscher fertigwerden zu müssen, würde schon schwierig genug sein.
Aber zumindest würden sie und Carmarthen nicht rasen, sie würden nicht andauernd die Pferde wechseln, um ihr hohes Tempo halten zu können. Martin hatte sich eine Weile den Kopf darüber zerbrochen, warum Amanda ihm ihre Nachricht nicht sofort durch einen Lakaien hatte überbringen lassen, doch dann hatte er plötzlich begriffen. Sie hatte den Brief bei sich zu Hause hinterlegt, damit er ihm, Martin, erst am späten Abend überbracht werden sollte, zu einem Zeitpunkt, an dem ihr Vorsprung bereits so groß gewesen wäre, dass an eine Verfolgung nicht mehr zu denken war. Stattdessen jedoch waren Amanda und ihr Begleiter nun erst knappe fünf Stunden vor ihm losgefahren. Und seine Karriole war noch dazu erheblich schneller als eine Reisekutsche.
Die Schicksalsgöttin - jene überaus launische, unbeständige Dame - hatte ihm noch eine allerletzte Chance gegeben. Wenn er weniger nervös, weniger unruhig gewesen wäre, wenn er Amandas Antwort stattdessen mit mehr Zuversicht und Gelassenheit entgegengesehen hätte, dann wäre er nicht völlig unerwartet um vier Uhr nachmittags in der Upper Brook Street erschienen. Aber das hatte er nun einmal getan, und somit hatte er noch eine letzte Chance bekommen, Amanda die Worte zu sagen, die sie hören wollte - und den Preis für ihr Ja zu zahlen. Eine allerletzte Chance, um sie zu überzeugen, die Seine zu werden.
Und nicht Carmarthens Ehefrau.
Das Tageslicht wurde langsam schwächer, als Martin mit seiner Peitsche schnalzte und die Pferde abermals zu einem gestreckten Galopp antrieb. Im Brausen des Fahrtwindes konnte er Connors zynisches, spöttisches Lachen hören.
Amanda schloss die Augen, als die Lichter von Chesterfield hinter ihnen in der Ferne verblassten. Sie hatte den größten Teil der Reise vor sich hin gedöst, daher war sie nun nicht mehr müde; und Reggie, der ihr gegenübersaß, hatte die Augen zugemacht, kaum dass sie Derby verlassen hatten. So hatte er zumindest endlich damit aufgehört, ihr Strafpredigten zu halten.
Amanda hatte mit der Ausführung ihres Plans gewartet, bis Louise und Amelia von ihrer Einladung zu Lady Hatchams Morgentee zurückgekehrt waren. Louise hatte ihrer Tochter aufmerksam zugehört und dann ihr Einverständnis erklärt, hatte es Amanda jedoch zur Auflage gemacht, dass sie ihre lange Reise zum Tal von Casphairn nicht ohne Begleitung antreten dürfe. Dabei hatte Louise Amelia einen fragenden Blick zugeworfen - die jedoch hatte nur dagesessen und stumm und unverwandt ihre Schwester angestarrt. Es war in genau jenem Augenblick gewesen, als ihnen Reggies Erscheinen gemeldet worden war; er war gekommen, um Amanda und Amelia zu Lady Cardigans Lunch zu begleiten.
Als Amanda daraufhin ihn um Hilfe ersucht hatte, hatte er augenblicklich die Schultern gestrafft und sich - als der wahre Freund, der er war - sofort dazu bereit erklärt, mit ihr in den Norden zu reisen. Er hatte das Tal früher schon einmal mit ihnen besucht und hatte die Reise damals sehr genossen. Nachdem dieses Problem nun also geklärt war, war Reggie unverzüglich wieder nach Hause zurückgefahren, um seine Reisetasche zu packen. Amanda hatte ihn dort wenig später mit ihrer Kutsche abgeholt, und dann waren sie auch schon auf dem Weg stadtauswärts gewesen.
Doch erst als sie Barnet hinter sich gelassen hatten, war Reggie auf die Idee gekommen, Amanda zu fragen, was genau denn nun eigentlich der Grund für ihre überstürzte Reise gen Norden war. Und wo eigentlich Dexter steckte.
Amanda hatte ihm die Sachlage erklärt, woraufhin Reggie vollkommen wider Erwarten plötzlich Martins Partei ergriffen hatte. Er war so verärgert, so aufgebracht gewesen, wie sie ihn noch nie zuvor erlebt hatte. Über viele Meilen hinweg hatte
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