Küsse im Mondschein
in dieser Aufmachung sogar noch aufregender und definitiv noch gefährlicher aussah, als er in Abendkleidung gewirkt hatte.
Sein volles Haar war auf verwegen wirkende Art zerzaust, sein Blick irritierend scharf und durchdringend. Er schaute nicht direkt missbilligend drein, trug aber eine ausgesprochen verbissene Miene zur Schau. Als Amanda ihn erreichte, drängte sich ihr der deutliche Eindruck auf, dass er nicht sonderlich erfreut darüber war, sich um sechs Uhr morgens im Park einfinden zu müssen.
»Guten Morgen, Mylord. Ich hatte überhaupt nicht damit gerechnet, dass ich das Vergnügen Eurer Gesellschaft haben würde.« Sie lächelte sonnig, hocherfreut, dass es ihr möglich war, diese Bemerkung vollkommen wahrheitsgemäß von sich zu geben. »Seid Ihr zu einem Galopp aufgelegt?«
Martin musterte sie ausdruckslos. »Ihr werdet noch feststellen, dass ich für fast alles zu haben bin.«
Ihr Lächeln wurde noch eine Spur strahlender, ehe sie den Blick abwandte. »Lasst uns zur Row hinunterreiten.«
Martin wandte sich kurz zu seinem Stallburschen um. »Warte hier auf uns.«
Sie machten sich gemeinsam auf den Weg und trabten quer über die Rasenflächen unter den Bäumen dahin. Amanda beschäftigte sich damit, die verschiedenen Gangarten der Stute zu testen. Martin beobachtete Amanda währenddessen und stellte zu seiner Erleichterung fest, dass sie eine ausgezeichnete Reiterin war. Nicht, dass er von einem Mitglied der Familie Cynster, ob nun weiblich oder nicht, allen Ernstes weniger erwartet hätte.
»Nach dem, was Connor sagte, nehme ich an, dass Euer Cousin - ich weiß allerdings nicht mehr, welcher - noch immer ein reges Interesse an Pferden hat.«
»Demon.« Amanda experimentierte gerade mit den Zügeln der Stute herum. »Er hat jetzt ein Gestüt in der Nähe von Newmarket. Er züchtet Rennpferde, und Flick reitet sie.«
»Flick?«
»Seine Ehefrau, Felicity. Sie ist fantastisch im Umgang mit Pferden. Sie hilft mit, die Tiere zuzureiten.«
Irgendwie konnte Martin mit diesem Bild nicht so recht etwas anfangen. Das passte überhaupt nicht zu dem Demon Cynster, den er noch von früher her in Erinnerung hatte - jener Demon Cynster, den er gekannt hatte, hätte nämlich niemals eine Frau auch nur in die Nähe seiner Pferde gelassen. Martin schob dieses Rätsel jedoch erst einmal beiseite und konzentrierte sich wieder auf das derzeit vorliegende Problem. »Dann wird Demon die Stute also wiedererkennen, wenn er sie sieht.«
»Selbst dann, wenn jemand anderer sie sieht und sie ihm beschreibt. Nichts ist so sicher wie das«, erklärte Amanda und blickte Martin flüchtig an. »Aus diesem Grund kann ich auch nur so früh am Morgen ausreiten, wenn noch niemand sonst unterwegs ist.«
Martin verzog insgeheim das Gesicht. Denn er konnte an ihrer Argumentation wirklich nichts auszusetzen finden. Das Wissen jedoch, dass sie allein durch den dunklen, menschenleeren Park reiten würde, hatte ausgereicht, um ihn sogar noch vor jener unchristlichen Uhrzeit aus dem Schlaf hochschrecken zu lassen; und die Gedanken und Bilder, die ihm dabei durch den Kopf gegangen waren, hatten es ihm unmöglich gemacht, wieder einzuschlafen. Und hier war er nun also, trotz der Tatsache, dass er niemals die Absicht gehabt hatte, um Amanda Cynster herumzuscharwenzeln.
Er gab sich gar nicht erst der Illusion hin, dass der nächste Morgen, an dem sie ausreiten wollte, in irgendeiner Weise anders verlaufen würde.
Wenn die Klatschbasen der Londoner Gesellschaft erführen, dass Amanda und er allein unterwegs waren, und das auch noch so früh am Morgen, dann würde es natürlich jede Menge Getuschel und Erstaunen geben. Aber Amanda war eine erfahrene, vernünftige, wohlerzogene Dreiundzwanzigjährige. Ihr Ruf würde zwar eingehend unter die Lupe genommen werden, würde jedoch selbst durch die Tatsache, dass sie beide ohne Begleitung an einem öffentlichen Ort ausritten, keinen wirklichen Schaden erleiden. Und auch, wenn ihre Familie - speziell ihre Cousins - diese Nachricht sicherlich nicht begeistert aufnähmen, so würden sie sich andererseits aber wohl auch nicht zum Eingreifen gezwungen sehen. Dazu müssten Amanda und er, Martin, sich wohl doch noch erheblich schlimmerer Regelverletzungen schuldig machen.
Andererseits - wenn ihre Cousins erführen, dass er gewusst hatte, dass Amanda mutterseelenallein durch den verlassenen Park ritt, und daraufhin nichts weiter getan hatte, als sich gemütlich im Bett umzudrehen und wieder einzuschlafen,
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