Küsse im Mondschein
herging und sich dabei langsam einen Weg durch das Gedränge bahnte, warf sie ihm einen Blick über ihre Schulter zu. »Seid Ihr wirklich mit Lady Hennessy befreundet?«
»Ja.« Helen war, ebenso wie er, jemand, der Zutritt zu den höchsten Gesellschaftskreisen hatte, es jedoch vorzog, sich von diesen Kreisen zu distanzieren.
Amanda verlangsamte ihren Schritt. »Was habe ich denn falsch gemacht?«
Er fing ihren Blick auf und erkannte, dass ihre Frage tatsächlich so simpel und unzweideutig gemeint war, wie sie sich anhörte. »Wenn Ihr mehr als eine Viertelstunde damit verbringt, Euch mit ein und demselben Mann zu unterhalten, wird man das so interpretieren, dass Ihr bereit seid, Euch mit ihm einzulassen und einer dieser wilderen, zügelloseren Vergnügungen hinzugeben, die Ihr vorhin erwähntet.«
Auf ihrem hübschen Gesicht erschien ein verdutzter Ausdruck. »Oh.« Dann wandte Amanda sich wieder nach vorn um und setzte ihren gemächlichen Spaziergang durch den Salon fort. »Das habe ich nicht gewollt.«
Sie hielt einen Moment inne, um eine Begrüßung zu erwidern; Martin nutzte die Gelegenheit, um ihr drei Bekannte vorzustellen, bevor sie sich wieder in Bewegung setzten und weiterschlenderten. Einen Augenblick später beschleunigte er seinen Schritt, um den Abstand zwischen ihnen zu verringern, beugte den Kopf vor und murmelte: »Was genau habt Ihr denn dann gewollt?«
Sie blieb so abrupt stehen, dass er um ein Haar über sie gestolpert wäre. Nur mit Mühe konnte er seinen Schwung bremsen, und als er anhielt, waren nur noch knapp zweieinhalb Zentimeter Luft zwischen ihren Schultern und seiner Brust, zwischen ihrem verführerischen, in Seide gehüllten kleinen Hinterteil und seinen Schenkeln. Abermals einen Blick über ihre Schulter wagend, schaute Amanda ihn an.
Er kämpfte gegen den plötzlichen Drang an, seine Arme um sie zu schlingen und sie rückwärts an sich zu ziehen.
»Ich möchte ein bisschen was vom Leben haben, bevor ich alt werde, möchte das Dasein genießen.« Sie blickte ihm forschend in die Augen. »Ist das etwa ein Verbrechen?«
»Wenn es eines ist, dann ist die Hälfte der Menschheit schuldig.«
Sie wandte sich wieder nach vorn um und schlenderte gelassen weiter. Martin zwang sich, sich zusammenzureißen und seine Impulse etwas besser in den Griff zu bekommen, dann folgte er ihr. Nach einem Moment sah Amanda abermals wieder nach hinten. »Nach allem, was ich so gehört habe, habt Ihr eine ganze Menge Erfahrung in punkto ›leben und genießen‹.«
»Nicht alle Erfahrungen, die ich gemacht habe, waren vergnüglicher Art.«
Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich bin nur an den angenehmen Seiten des Lebens interessiert.«
Ihr Ton war ernst, freimütig, nicht spaßhaft. Sie hatte sich vorgenommen, die Freuden des Lebens zu entdecken und auszukosten, die Fallstricke jedoch zu meiden.
Wenn das Leben doch bloß so einfach wäre.
Sie setzten ihre Wanderschaft durch den Salon fort, blieben dabei hin und wieder stehen, um ein paar Minuten in dem einen oder anderen Kreis von Gästen zu verbringen, bevor sie sich erneut weiterbewegten - sie einen halben Meter vor ihm, während er, entspannt, aber dennoch wachsam, in ihrem Kielwasser hinterherschlenderte. Martin bezweifelte, dass Amanda bis dato schon über viele Fallstricke gestolpert war. Ihr Vertrauen in das Leben, ihr Glaube an das höchste Glück, waren noch immer ungetrübt. Das Leuchten in ihren Augen, die Überschwänglichkeit und Begeisterung, die in ihrem Lächeln zum Ausdruck kamen, all das zeugte davon, dass sie noch voller Unschuld und Arglosigkeit war.
Und ihm, Martin, stand es nicht zu, diese Arglosigkeit zu erschüttern.
Als sie eine freie Stelle an der einen Seite des Raumes erreichten, wandte Amanda sich erneut zu ihm um. »Übrigens, da wir gerade von den Freuden des Lebens sprechen...«
Martin blieb vor ihr stehen, versperrte ihr mit seinen breiten Schultern die Sicht auf den Salon. Er erwiderte ihren Blick und zog in einer vielsagenden, eindeutig misstrauischen, widerwärtig überheblich wirkenden Geste eine Braue hoch.
Sie sah lächelnd zu ihm auf. »Ich dachte gerade, dass ich morgen vielleicht mal die Stute reiten könnte. In aller Frühe. Im Park. Was meint Ihr, ob Eurer Stallbursche wohl so freundlich wäre, sie mir zu bringen?«
Martin zwinkerte einmal mit den Augenlidern. Amanda lächelte noch ein wenig strahlender.
Und hoffte dabei inständig, dass es noch nicht zu spät war, um diesen Trumpf
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