Küsse im Mondschein
ging über den mit kunstvollen Intarsien verzierten Parkettfußboden, der zum Teil mit farbenfrohen Teppichen bedeckt war, und zog mit einer energischen Bewegung die Vorhänge zurück. Draußen vor den Fenstern lag ein von einer Mauer umschlossener Innenhof; von einem kreisrunden Wasserbecken in seiner Mitte stieg eine Fontäne auf, die Steinmauern waren unter einem dichten, ungezügelt wachsenden Gewirr von Efeuranken und Kletterpflanzen verborgen.
Martin wandte sich wieder zum Raum um und ließ seinen Blick über die mit Atlas bezogene Chaiselongue und das Liegesofa wandern, über das farbenfrohe Seidentücher drapiert waren, über die Kissen in den zahllosen Farbnuancen kostbarer Edelsteine, die überall verstreut lagen, über die kunstvoll geschnitzten Tische, die inmitten all der Pracht standen. Wohin sein Blick auch fiel, überall fand sich irgendein Gegenstand oder ein Dekor, an dessen Farbe und Beschaffenheit sich das Auge ergötzen konnte, irgendein reiner, ungetrübter Genuss für die Sinne.
Es war ein Raum, der Martins Sinne erfüllte, Ausgleich und Entschädigung für die trostlose Leere in seinem Leben.
Schließlich blieb sein Blick auf dem Stapel von Einladungen haften, die sich an einem Ende des marmornen Kaminsimses türmten. Er durchquerte den Raum, schnappte sich den Stapel und sah rasch die eingegangenen Einladungen durch. Wählte die eine aus, die er gesucht hatte.
Und starrte sie an.
Nach einem Moment legte er die übrigen wieder auf das Kaminsims zurück, lehnte die ausgewählte Karte gegen ein Kästchen auf einem Beistelltisch aus Mahagoni, ließ sich auf das Liegesofa fallen, legte seine Füße auf einen mit geprägtem Leder bezogenen Polsterschemel - und blickte mit finster gerunzelter Stirn auf Leopold Korsinskys Einladung.
3
Wenn das kleine Biest es auf ihn abgesehen hatte, dann ging sie dabei allerdings auf verdammt ungewöhnliche Art und Weise zu Werke.
Mit einer Schulter lässig an die Wand gelehnt, beobachtete Martin von einer Ecke des Konsulatsballsaals aus, wie Amanda Cynster auf der Türschwelle erschien und sich im Raum umschaute. Ihr hübsches Gesicht ließ noch nicht einmal die Spur eines erwartungsvollen Ausdrucks erkennen. Sie bot das vollkommene Bild einer Dame, die ruhig und gelassen ihre Wahlmöglichkeiten prüft.
Leopold ließ nicht lange auf sich warten. Raschen Schrittes strebte er auf sie zu. Sie lächelte charmant und streckte ihm zur Begrüßung die Hand entgegen; Leopold ergriff sie begierig und bedachte Amanda mit einer überaus eleganten, überaus entzückten Verbeugung.
Martins Miene wurde steinern. Leopold redete, gestikulierte, gab sich ganz offensichtlich alle Mühe, Amanda zu beeindrucken. Martin beobachtete die Szene und machte sich so seine Gedanken.
Er war in seinem Leben schon zu oft Zielobjekt von Damen mit Heiratsabsichten gewesen, um nicht mittlerweile einen sechsten Sinn dafür entwickelt zu haben, wenn ein weibliches Wesen sich an ihn heranzupirschen versuchte. Aber bei Amanda Cynster... war er sich irgendwie nicht sicher. Sie war anders als die Damen, mit denen er bisher zu tun gehabt hatte. Jünger, weniger erfahren, aber wiederum auch nicht mehr so jung, dass er sie als Backfisch hätte abtun können, und auch nicht mehr so unerfahren, dass er so blöde war, sie oder ihre Machenschaften nicht ernst zu nehmen.
Schließlich hatte er sich im Geschäftsleben bereits ein ansehnliches Vermögen verdient - und das wäre ihm bestimmt nicht gelungen, wenn er dazu geneigt hätte, seine Gegner zu unterschätzen. In diesem Fall jedoch war er sich noch nicht einmal ganz sicher, ob ihn das verflixte Weibsbild überhaupt im Visier hatte.
Nun näherten sich ihr zwei weitere Gentlemen, Draufgänger von der gefährlichsten Sorte, stets und ständig auf der Suche nach dem besonderen Kitzel. Leopold taxierte die beiden mit einem schnellen Blick, dann stellte er sie Amanda vor, ließ jedoch durch nichts erkennen, dass er gewillt wäre, von Amandas Seite zu weichen, geschweige denn, auf ihre Aufmerksamkeit zu verzichten. Daraufhin verbeugten die Dandys sich und zogen weiter.
Erleichtert atmete Martin wieder aus; es war ihm gar nicht bewusst gewesen, wie sehr er sich innerlich angespannt hatte. Er heftete seinen Blick wieder auf den Grund seines Besuchs, betrachtete ihre üppigen Locken, die in dem hellen Licht golden glänzten, ließ seinen Blick auf der schlanken, biegsamen Gestalt ruhen, die in feine Seide von der Farbe reifer Pfirsiche gehüllt war.
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