Küsse im Mondschein
dann, davon war Martin felsenfest überzeugt, würde er ihr Eingreifen sogar außerordentlich prompt zu spüren bekommen.
Er konnte dennoch nicht so recht entscheiden, ob es nun wirklich ein glücklicher Umstand war, dass dieses Szenario wohl niemals stattfinden würde. Die einzige Tatsache, die seine grimmige Stimmung nun wieder etwas aufhellte, war die Gewissheit, dass Amanda nicht gemerkt hatte, welchen Standpunkt er eigentlich vertrat. Ihre Freude, als sie festgestellt hatte, dass er auf sie wartete, war eindeutig echt gewesen. Sie hatte nicht damit gerechnet, ihn zu sehen. Zumindest insofern hatte er also noch ein gewisses Maß an Kontrolle.
Martin betrachtete Amanda einen Moment lang schweigend, während sie die Stute zuerst steigen und dann tänzeln ließ und sie anschließend wieder dazu brachte, im Schritt zu gehen.
»Sie reagiert ganz wundervoll.«
Prüfend schaute er zum Himmel hinauf - dieser hatte mittlerweile die Farbe von schwarzen Perlen angenommen, denn die Nacht wich allmählich vor der nahenden Morgendämmerung zurück. »Wenn wir noch im Galopp reiten wollen, sollten wir jetzt besser zusehen, dass wir weiterkommen.«
Amanda lenkte die Stute in Richtung des Sandwegs, der speziell zum Galoppieren angelegt worden war. Als sie auf den Pfad einbog und Martin den Rotschimmel neben sie trieb, warf Amanda ihm einen kurzen Blick von der Seite zu, dann ließ sie die Stute mit einem jähen Satz vorwärtspreschen. Martin fühlte sich ein klein wenig überrumpelt, aber der Rotschimmel reagierte sofort und machte sich an die Verfolgung. Die Stute war schnell, doch der Wallach, der erheblich längere Beine hatte und dementsprechend größere Schritte machte, konnte den Abstand zwischen ihnen rasch verringern, bis sie schließlich Kopf an Kopf dahinjagten. Der Park war menschenleer und still und friedlich, während sie im gestreckten Galopp den Reitpfad entlangrasten. Der Rotschimmel hätte die Stute bei diesem wilden Wettrennen mühelos hinter sich lassen können, doch Martin hielt sein Pferd bewusst zurück - damit er Amandas Gesicht betrachten, die uneingeschränkte Freude sehen konnte, die ihre Augen aufleuchten ließ. Damit er den Überschwang und die Begeisterung spüren konnte, die sie erfasst hatte.
Das laute Donnern der Pferdehufe hüllte sie beide ein, riss sie mit sich, bis es einem Hämmern gleich in ihrem Blut widerhallte. Die kalte Luft peitschte ihre Gesichter, schnitt wie mit Messern durch ihr Haar, ließ ihre Haut prickeln und ihre Augen strahlen.
Eine Weile später drosselte Amanda das Tempo der Stute wieder, denn eine kurze Strecke weiter vor ihnen endete der Sandpfad. Sie wechselten vom Galopp in einen leichten Kanter und verfielen dann schließlich in Schritttempo. Ihre Pferde schnaubten laut in der frühmorgendlichen Stille des Parks, ihr Atem war als kleine weiße Dampfwölkchen in der kalten Luft sichtbar. Zaumzeug klirrte gedämpft, als der Rotschimmel den Kopf schüttelte. Martin ließ sein Pferd wieder Richtung Mount Gate umkehren und musterte dabei mit fachmännischem Blick die Stute, während er den Wallach herumzog.
Sie hatte ihre Sache gut gemacht. Das Gleiche galt aber auch für ihre Reiterin.
Er hatte in seinem Leben schon zu viel weibliche Schönheit gesehen, um sonderlich leicht zu beeindrucken zu sein, dennoch vermochten prachtvolle Farben und Texturen noch immer seine Aufmerksamkeit zu erregen. Amandas samtenes Reitkostüm hatte die gleiche Farbe wie ihre Augen; bisher hatte er den wundervoll leuchtenden Farbton allerdings noch nicht richtig würdigen können, doch nun wurde das Licht von Minute zu Minute heller, und als Amanda sich zu ihm umwandte, lächelnd und geradezu schwindelig vor Entzücken, konnte er sie zum ersten Mal deutlich sehen.
Ihr Haar, zum Teil verborgen unter einer feschen Reitkappe von dem gleichen leuchtenden Blau wie ihr Kostüm, fing das erste Licht der Morgendämmerung ein und reflektierte es in Schattierungen reinsten Goldes. Am Abend zuvor, als sie ihre Locken zu einer Hochsteckfrisur aufgetürmt hatte, hatte Martin angenommen, ihr Haar sei schulterlang. Jetzt jedoch konnte er erkennen, dass es sehr viel länger sein musste und sicherlich mindestens bis zur Mitte ihres Rückens reichte. Die üppige Mähne, ein Gewirr von dicken, seidig glänzenden Ringellocken, war am Hinterkopf zusammengefasst und unter ihrer Reitkappe festgesteckt, wobei einige lose herabhängende Strähnen ihren schlanken Hals streiften und sich winzige dünne Löckchen
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